Das Start-up Aliunid will den Strommarkt revolutionieren. Ob die Idee funktioniert, wird in Wohlen getestet.
Es klingt futuristisch: Doch bereits in einem Jahr könnte es normal sein, dass eine gewöhnliche Waschmaschine in Wohlen mit einem grossen Wasserkraftwerk im Wallis kommuniziert. Dies ist zumindest die Vision jener Herren, die gestern im Freiamt ein Stromversorgungsprojekt vorgestellt haben, das ab sofort in der Praxis ausprobiert wird. Auch im Aargau – und zwar in Wohlen. Denn die IB Wohlen (IBW) ist einer von derzeit noch nicht ganz 20 Energieversorger in der Schweiz, die sich am Projekt des Start-ups Aliunid beteiligen und eine Community bilden.
Warum die IBW mitmacht, erklärte Geschäftsleiter Peter Lehmann an der Medieninformation: «Wir wollen nicht von der digitalen Zukunft überfahren werden, sondern bereits jetzt ein Teil der neuen Welt sein.» Um zu skizzieren, was er darunter versteht, machen wir zuerst einen Schritt zurück.
Früher wurde fast der ganze Strom, der in der Schweiz benötigt wird, von wenigen zentralen Grosskraftwerken produziert. Aufgrund der Förderung der erneuerbaren Energien ändert sich dies zusehends. Jetzt wird an Tausenden Orten in der Schweiz Strom generiert. Etwa auf einem mit Solarpanels bestückten Einfamilienhaus. Oder einem regionalen Windkraftwerk. Solche kleine Kraftwerke gibt es immer mehr, doch bis anhin konnten sie nicht miteinander interagieren. Das soll sich jetzt ändern, und das ist es, was Lehmann unter der «neuen Welt» versteht. Diese soll wie folgt funktionieren.
Die imaginäre Familie Bach in Wohlen hat Solarpanels auf ihrem Hausdach. Wenn die Sonne scheint und sie mehr produzieren, als sie verbrauchen, geben sie Strom an die IBW ab. Falls die Sonne sich hinter den Wolken versteckt, bekommen sie vom Energieversorger zusätzlichen Strom. Dank der im Haus installierten Controller können Stromverbrauch und -produktion im Sekundentakt festgestellt werden. Falls das ganze Netz der IBW mehr Strom produziert, als es verbraucht, kann das Unternehmen Strom an einen anderen Energieversorger in der Aliunid-Community abgeben.
Und falls insgesamt eine Stromüberproduktion besteht, kann dieser Überschuss genutzt werden, um etwa beim in der Community angeschlossenen Wasserkraftwerk im Wallis das Wasser eine Ebene hinaufzupumpen. Bei Strommangel besteht auch die weitere Möglichkeit, dass der Energieversorger etwa Waschmaschinen für eine kurze Zeit ausschalten könnte. Dies ist vergleichbar mit der früheren Mittagssperre. Vorausgesetzt, der Nutzer hat dem zugestimmt.
Aliunid wird vom Bundesamt für Energie unterstützt, das den Ansatz sehr interessant findet. Auch hinsichtlich der Gewährleistung der Daten- sicherheit. Denn bei solchen vernetzten Systemen besteht die Gefahr, dass die Privatsphäre des Einzelnen beschnitten wird. Oder wie es Andreas Danuser, Mitgründer von Aliunid, ausdrückte: Es dürfe nicht sein, dass in einem zentralen System erfasst und abrufbar sei, um welche Zeit Herr Schweizer gekocht hat. Deswegen setzt das Start-up auf ein dezentrales System mit einem Controller in jedem Haushalt, der nur ein paar wenige Informationen an den Controller des Wohnblocks weitergibt und dieser nur aggregierte Informationen an den Controller des Energieversorgers. So weiss man zwar, wie viel Strom in Wohlen in dieser Sekunde verbraucht wird, aber nicht, welcher Haushalt wie viel verbraucht.
Doch warum sollten die Wohler bereit sein, Teil dieses Systems zu werden? Und mehr dafür zu zahlen? Die Antwort soll das System ok-at-home sein. Denn dank dem Controller im Haushalt hat der Hausbesitzer Zugang zum aktuellen Stromverbrauch. Aufgeschlüsselt auf die einzelnen Geräte. Es soll also nicht mehr nötig sein, nochmals nach Hause zu fahren, wenn man befürchtet, die Kochplatte nicht ausgeschaltet zu haben. Ein Blick auf die App genügt. Oder man wüsste immer, wie warm es in der Ferienwohnung ist. Wird eine definierte Temperaturschwelle unterschritten, bekommt man eine Warnung und könnte per Knopfdruck die Heizung einschalten. All dies wird jetzt in den nächsten Monaten getestet. In Wohlen zuerst einmal in drei Häusern. Die ersten Kunden sollen in einem Jahr zum Zug kommen.