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SVP-Nationalrat Andreas Glarner spricht im Interview über seine Zeit als Gemeindeammann von Oberwil-Lieli.
Andreas Glarner: Wir sind die Nr. 1 beim Steuerfuss im Kanton, wir belegen den gleichen Platz beim «Weltwoche»-Rating in Bezug auf die Lebensqualität im Dorf, wir haben ein neues Schulhaus gebaut, einen neuen Kindergarten, Alterswohnungen, ein neues Feuerwehrgebäude mit Werkhof, eine Freizeitanlage, wir haben das Gemeindehaus saniert, zwei Dorffeste durchgeführt – es ist einiges passiert über die Jahre.
Unser Nachbardorf Berikon hat diesbezüglich die gleichen Bedingungen. Trotzdem ist dort der Steuerfuss 50 % höher. Wir haben also offenbar doch ein paar Sachen richtig gemacht.
Wir haben, unter anderem, die Sozialkosten im Griff.
Der Vater zweier Töchter wurde 1962 in Glarus geboren und wohnt seit 1994 in Oberwil-Lieli. Seit 1998 ist er Gemeinderat, seit 2006 Ammann der Gemeinde. Von 2001 bis 2015 war er Grossrat, ab 2005 auch als Fraktionspräsident der SVP. Seit November 2015 ist er Nationalrat.
Es geht in diese Richtung, ja. Man kann nicht einfach Geld verteilen an jene, die Geld abholen wollen. Man muss die Leute röntgen, ihnen das Autokennzeichen wegnehmen, sie zum Arbeiten bringen. Wir haben auch mit den Vermietern gesprochen, damit auch sie darauf achten, wem sie Wohnungen vermieten.
Ja, das hat extrem gewirkt. Vor allem auch, weil wir den Mietzins nicht an die Vermieter überweisen, sondern direkt an die Sozialhilfebezüger.
Völlig falsch: Wir vertreten die Ansicht, dass jene Leute unterstützt werden sollen, die diese Unterstützung auch wirklich nötig haben, und nicht jene, die einfach zu bequem zum Arbeiten sind. Wer am Morgen aufsteht und arbeiten geht, für den muss es sich lohnen. Anderseits muss der Bezug von Sozialleistungen mit Einschränkungen verbunden sein.
Nochmals entschieden nein. Bedürftigen muss und soll geholfen werden. Aber Sozialhilfe darf nicht einen Anreiz zum Zurücklehnen bieten. Es soll eine vorübergehende Massnahme sein, aus der man rasch wieder raus will.
Ja, ich habe schon verschiedentlich solche Leute eingestellt. Ich beschäftige auch Alleinerziehende, die ihre Arbeitszeit je nach Bedarf flexibel einteilen können. Im Notfall können sie ihre Kinder auch an den Arbeitsplatz mitnehmen, wir haben dafür sogar Spielsachen im Haus.
Das sehe ich so. Würden mehr Unternehmer ihre soziale Verantwortung wahrnehmen, könnte man sicher da und dort ein Abgleiten in die Sozialhilfe verhindern.
Wie kommen Sie jetzt darauf?
Entschuldigung, aber das ist absoluter Quatsch. Sie konstruieren einen völlig falschen Zusammenhang. Mit echten Flüchtlingen steigt die Kriminalitätsrate nicht. Wir haben bei uns eine christliche Familie aus Syrien aufgenommen. Die wohnt sogar im Schulhaus und das Ganze ist eine Erfolgsgeschichte.
Ich halte fest: Das ist eine gute Lösung.
Das ist überhaupt nicht fies. Rudolfstetten hat uns angefragt, und wir haben eine Lösung gefunden, die für beide Gemeinden stimmt. Das Problem liegt tiefer. Die Asylpolitik der Schweiz ist falsch. Man kann doch nicht einfach alle Leute aufnehmen, die hierher kommen wollen. Man soll die wirklich Bedürftigen aufnehmen, da habe ich keineswegs etwas dagegen. Wenn wir die Wirtschaftsflüchtlinge aussperren würden, dann hätten wir für die echten Flüchtlinge auch genügend Mittel zur Verfügung.
Ich gebe zu, da ist nicht alles gut gelaufen. Das vor allem, weil die Sache in den Medien gross aufgebauscht worden ist. Man hat volles Rohr gegen mich und die Gemeinde geschossen. Ich kann nachvollziehen, dass dieses negative Medienecho für Teile der Bevölkerung zu viel geworden ist. Ich habe mich vor der Gemeindeversammlung dafür entschuldigt. Allerdings: Mein Kurs ist vom Gemeinderat mitgetragen worden und die Erneuerungswahlen im Herbst haben gezeigt, dass wir offenbar auch in den Augen der Stimmberechtigten doch nicht so falsch gelegen sind.
Ja, das will ich ja auch nicht abstreiten. Aber in diesem Fall wäre etwas mehr Neutralität und Ausgewogenheit wünschenswert gewesen. In den meisten Medien wurden nicht meine Argumente rausgeschält, sondern schlicht und einfach gegen mich und Oberwil-Lieli gebollert.
Ja, jene die man negativ ausschlachten konnte. Unsere Aktion Schweizerkreuz.ch hingegen hat man sehr tief gehalten. Oberwil-Lieli hat an diese Aktion über 400 000 Franken gespendet. Das war den Medien allerdings kaum grosse Schlagzeilen wert.
Es geht um direkte Hilfe für syrische Flüchtlinge vor Ort, in Griechenland und in der Türkei.
Sicher ist auch das nur Symptombekämpfung. Aber ich habe mich mehrmals in diesen Flüchtlingslagern darüber informiert, dass es etwas bringt.
Oberwil-Lieli ist die lebenswerteste Gemeinde im Kanton Aargau.
Nein, für alle. Reiche zahlen Steuern, und mit diesem Geld haben wir die Gemeinde in den letzten Jahren entwickeln können.
Wir haben eine gute Infrastruktur auf dem neuesten Stand, wir haben einen tiefen Steuerfuss, wir bieten den besten Service für unsere Bürgerinnen und Bürger, wir haben eine Baubewilligungsbehörde und nicht eine Bauverhinderungsbehörde, wir behandeln unsere Bürger als Kunden und nicht als Bittsteller. Beispielsweise haben wir die Kleingebühren am Schalter der Gemeindeverwaltung abgeschafft ...
Nein, weil diese Kleingebühren nichts bringen. Wir denken unternehmerisch. Solche Gebühren sind ein Unding. Der Aufwand, sie zu erheben, kostet weit mehr, als man damit einnimmt. Auch weniger finanzstarke Gemeinden könnten diese Gebühren abschaffen und dadurch Geld sparen.
Ganz klar Gemeinderat und Gemeindeammann. Da sitzt man dem Bürger 1:1 gegenüber, da hat man einen Gestaltungsspielraum und da hört man auch direkt, was man falsch und was man richtig macht. Dieses Amt hat mich in den vergangenen 20 Jahren fasziniert und erfüllt. Es war die bisher lehrreichste und spannendste Zeit in meinem Leben. Dafür hätte ich sogar noch bezahlt.
Ich hoffe, dass es mir gelingt, das nicht zu tun. Ich habe mir vorgenommen, zu sagen: «So fertig, das wars» und nicht meinen Nachfolgern vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Aber klar, ich habe viel Herzblut in mein Amt gesteckt, und das Schicksal dieser Gemeinde wird mir auch in Zukunft nicht einfach egal sein.
Ab dem 1. Januar geht Andreas Glarners Careproduct AG mit Sitz in Oberwil-Lieli ins Schweizer Gesundheitsunternehmen Galenica über. Vor sieben Jahren hat Glarner die Firma mit dem Ziel gegründet, «die Preise im Hilfsmittelsektor in der Schweiz auf ein faires Niveau» zu bringen und sich dagegen zu wehren, «dass Behinderte und Senioren von skrupellosen Anbietern übervorteilt werden», wie es auf der Website der Firma heisst. Careproduct verkauft unter anderem Rollstühle und medizinische Geräte. Für die 16 Mitarbeiter und auch für Oberwil-Lieli soll sich durch die Übernahme nichts ändern. Glarner selbst sagte gegenüber Tele M1: «Ich werde sicher wieder etwas gründen. Mich reizt vor allem das Gründen und Aufbauen.» Nun habe er mehr Zeit für den Nationalrat, sagte er weiter. Den Verkaufspreis für seine Firma wollte er jedoch gegenüber dem Sender nicht nennen. (aw)