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Ein Mann mietet eine Fotoausrüstung und gibt sie nie zurück. Das Opfer bezeichnet ihn im Internet als Dieb – und landet selbst vor dem Bezirksgericht in Bremgarten – wegen übler Nachrede.
An diesem Vormittag herrscht verkehrte Welt am Bremgarter Bezirksgericht: Das Opfer muss vor dem Richter erscheinen – als Beschuldigter, angeklagt wegen übler Nachrede. Dabei wollte sich der Betreiber eines Online-Kameraverleihs nur gegen ein Unrecht wehren, das ihm widerfahren ist.
Im Frühling 2013 vermietet Rafael Studer* Kamera, Objektive, Blitz, Tasche. Gesamtwert der professionellen Fotoausrüstung: 6500 Franken. Eine Mietdauer von zwei Tagen war vereinbart, der Treffpunkt für die Rückgabe ebenfalls. Doch der Kunde taucht nicht auf, die Handynummer ist ungültig, die Mails bleiben unbeantwortet. Die Anzeige bringt keinen Erfolg; der Beschuldigte, der wegen anderer Delikte gesucht wird, bleibt verschwunden. Studer macht sich auf die Suche, auf dem Facebook-Profil findet er dessen neuen Wohnort: Kalifornien. Zum Beweis hält er während des Gerichtsprozesses den Ausdruck der Seite in die Höhe. Von der geliehenen Ausrüstung fehlt weiterhin jede Spur.
Eineinhalb Jahre sind vergangen, da veröffentlicht Studer auf seiner Website einen Steckbrief. Neben detaillierten Angaben zur gestohlenen Ausrüstung veröffentlicht er auch den Namen des Beschuldigten – dazu der Hinweis: «Wegen Diebstahl gesucht». Die Seite habe nur gefunden, wer gezielt nach der Person oder den Seriennummern gegoogelt habe, sagt Studer vor Gericht. Für alle anderen sei sie nicht sichtbar gewesen. In den rund fünf Monaten, in denen der Eintrag online war, wurde er denn auch nur 13-mal aufgerufen. Er hoffte auf diese Weise, von einem potenziellen Käufer Hinweise auf den Verbleib seiner Ausrüstung zu erhalten.
«Durch die Äusserungen des Beschuldigten wurde der Strafkläger in seinem Ruf geschädigt», schreibt die Staatsanwaltschaft. Sie fordert eine Verurteilung wegen übler Nachrede, eine bedingte Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 170 Franken sowie eine Busse von 500 Franken. Der Platz des Klägers bleibt während des Prozesses leer. Jüngst verurteilte ihn ein Ostschweizer Gericht – unter anderem wegen der Veruntreuung der Fotoausrüstung.
Als «Ultima Ratio» und erst nach eineinhalb Jahren habe Studer den Steckbrief veröffentlicht, sagt sein Verteidiger. «Den Grundsatz der Verhältnismässigkeit hat er eingehalten.» Zudem habe sein Mandat den nötigen Wahrheitsbeweis antreten können. Deshalb verlangt der Anwalt einen Freispruch.
Das Gericht teilte diese Einschätzung – und sprach den Beschuldigten frei. «Der Fall ist von einer erfreulichen Klarheit», stellt der Gerichtspräsident Peter Turnherr bei der Urteilsverkündung fest. Die vorhergegangene Beratung dauerte nur gerade zehn Minuten. «Er hat Sie versetzt, weshalb Sie monatelang auf dem Mietvertrag sitzengeblieben sind», sagt er zum Beschuldigten. Der Vorwurf ein Dieb zu sein, ist zwar grundsätzlich strafbar, nicht aber, wenn der Nachweis erbracht werden kann, dass dieser stimmt.
Und durch das jüngst gefällte Urteil sei klar, dass die Veruntreuung auch tatsächlich begangen wurde. Dass er dabei den juristisch gesehen falschen Begriff – «Dieb» – verwendet hat, sei unerheblich. Studer habe den Steckbrief «mit vertretbarer Absicht, nicht durch bösen Willen» online gestellt.
Das Fazit des Gerichtspräsidenten: «Eine unerfreuliche Geschichte nimmt nach Jahren ihr Ende.» Die gestohlene Ausrüstung allerdings hat Rafael Studer nach wie vor nicht zurückerhalten.
*Name geändert.