Pilgerserie, Teil 4
Eine offene Tür und viel Ruhe bei einem Seelen-Infarkt gibt es hier

Im Kloster St. Martin finden Pilger und andere Menschen zur Ruhe. Das Kloster Hermetschwil ist nicht offiziell ein Gästehaus. Aber die Schwestern hier haben ein weites Herz.

Eddy Schambron
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Äbtissin Maria Angelika öffnet für den Pilger eines der Gästezimmer im Kloster Hermetschwil.
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Eddy pilgert ins Kloster St. Martin
Das einfache, aber gemütliche Gästezimmer.
Der schöne Brunnen im Hof des Klosters Hermetschwil.

Äbtissin Maria Angelika öffnet für den Pilger eines der Gästezimmer im Kloster Hermetschwil.

Eddy Schambron

«Eine Besucherin kam eines Tages mit dem Velo angeradelt, blieb eine Woche und ging wieder mit den Worten: ‹Ich habe hier Gott wieder gefunden.›» Das erzählt Äbtissin Maria Angelika Streule, nachdem ich verschwitzt nach dem Marsch vom Jonental über Werd-Rottenschwil und Besenbüren im Kloster St. Martin in Hermetschwil ein Zimmer bezogen habe.

Lesen Sie die weiteren Erfahrungsberichte unserer Serie «Pilgern auf dem Freiämterweg»:

«Sie hatte einen Seelen-Infarkt erlitten und suchte Ruhe.» Auf meiner Pilgerreise auf dem Freiämterweg hatte ich auf gut Glück an der Klosterpforte um einen Schlafplatz nachgefragt. Die Aufnahme in der kleinen Gemeinschaft, die nach den Regeln des heiligen Benedikt, «Bete und arbeite», lebt, erfolgt völlig unkompliziert und freundlich. Die 1082 gegründete Klosteranlage befindet sich in einem hervorragenden Zustand und ist eine der eindrucksvollsten Kulturstätten der Region.

Klare Tagesordnung

Die neun Ordensschwestern haben eine klare Tagesordnung, die um 5.45 Uhr mit der persönlichen Meditation beginnt und um 21.30 Uhr mit der Nachtruhe endet. Dazwischen wird gebetet und gearbeitet. «Ora et labora». Das Kloster Hermetschwil ist nicht offiziell ein Gästehaus. Aber die Schwestern hier haben ein weites Herz.

«In Absprache kann bei uns ein Zimmer belegen, wer Ruhe oder Besinnung sucht. Auch spontan, wenn eines frei ist», sagt die Äbtissin. «Wir hatten schon Leute hier, die sonst unter der Brücke geschlafen hätten.» Der eine oder andere Mensch, der sich am Rand der Gesellschaft befinde, tauche auch mit einer gewissen Regelmässigkeit auf und finde Aufnahme. Geld gebe es nicht, aber ein Dach über dem Kopf und ein einfaches Essen. Und menschliche Zuneigung, Gespräche, wenn das gewünscht werde. Für die Übernachtung verlangen die Schwestern eine Spende nach Möglichkeit.

Schwester Pia taucht auf, sagt fröhlich, sie gehe jetzt Stanzen. «Hostien stanzen», erklärt die Äbtissin; das Kloster Hermetschwil führt noch immer eine Hostienbäckerei. Das Kloster führt auch einen kleinen Laden. Hier gibt es Konfitüre, Klostergebäck, Tee und vieles mehr zu kaufen, hergestellt mit grösster Achtung vor der Schöpfung. Da werde bei der Produktion kein chemischer Pflanzenschutz versprüht. Eine käufliche DVD «Ora et labora, Benediktinerinnen der Abtei St. Martin Hermetschwil AG» gibt Einblick in das Klosterleben.

Gemütliches Zimmer

Die Regeln sind einfach: Nicht rauchen im Zimmer, keine Kerze anzünden, die Haustüre zuverlässig schliessen, keinen Lärm. Nach dem Nachtessen ist Ruhe. Wirklich Ruhe. Ich begebe mich auf mein Zimmer. Ein Bett, ein Schrank, ein Tischchen, ein Sofa, eine Kommode mit religiöser Literatur. Ausser der regelmässig die Zeit schlagenden Kirchenglocke und manchmal einem Knarren im Gebälk ist kein Ton zu hören.

Ich fühle mich wohl hier. Wer nicht vorher schon wach ist, wird um 6 Uhr durch das Läuten der Kirchenglocke geweckt. Ich begebe mich zur Konventmesse in der Klosterkirche, gelesen vom Mühlauer Pfarrer Danam Yammani. Anschliessend nehme ich mit ihm zusammen und mit Äbtissin Angelika am Tisch das Frühstück ein – das Vaterunser vor dem Genuss, ein Dankesgebet nachher. Der Pfarrer spricht die Äbtissin mit Mutter an. Jeder Gast wäscht sein Geschirr selber ab.

Ich ziehe nach dem beeindruckenden Aufenthalt im Kloster Hermetschwil weiter. Es ist eine andere Welt hinter den Klostermauern, ohne jede Hektik, ohne Lärm und Aufregung. Diese Ruhe überträgt sich schnell auf die Besucherin oder den Besucher. Aber die Schwestern sind nicht weltfremd. Sie beten jeden Tag für alle Menschen, die Sorgen und Nöte haben.

Sie nehmen Menschen unter ihrem Dach auf, sind aber nicht naiv. Sie schauen hin, ob jemand in lauterer Absicht kommt oder nicht. Die Klöster sind untereinander vernetzt und warnen sich, wenn einer auf die krumme Tour unterwegs ist – was auch schon geschehen ist. Sie wissen es zu verhindern, wenn einer aus der realen Welt in der heilen Klosterwelt Unheil anrichten will.