Wohler Postgeschichte
Ein Telegrafenamt in fester Frauenhand

Vor 125 Jahren nahm die erste weibliche Telegrafistin in «Chly Paris» ihre Arbeit auf.

Jörg Baumann
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Die ehemalige Wohler Hauptpost in einer Aufnahme von 1914. Später war hier die Post 2, welche vor einem Jahr geschlossen wurde. (PTT-Archiv)

Die ehemalige Wohler Hauptpost in einer Aufnahme von 1914. Später war hier die Post 2, welche vor einem Jahr geschlossen wurde. (PTT-Archiv)

Eine technische Neuheit erhielt Wohlen 1857: ein Telegrafenbüro. Erster Telegrafist war ein Mann, Posthalter Peter Leonz Breitschmid. Er erhielt für seine zusätzliche Arbeit ab 1858 eine Vergütung von 180 Franken im Jahr. Das weiss Jonas Bürgi, wissenschaftlicher Mitarbeiter des PTT-Archivs und der Bibliothek in Köniz.

Elise Wohler erste Telegrafistin

Vor 125 Jahren entdeckte man in der Telegrafie in Wohlen die Frauen: Der Bundesrat wählte Elise Wohler, Vergolders, zur Telegrafistin und Telefonistin in Wohlen. Die Meldung von dieser Wahl kursierte in der ganzen Schweiz. Der Bundesrat liess sie in der Lokal- und Tagespresse publizieren, unter anderem am Montag, 11. November 1892, in der Waadtländer Zeitung «Feuille d’Avis de Lausanne».

Im gleichen Jahr wurde das Telegrafenbüro in Wohlen im Postbüro untergebracht. Schon 1893 wurde die Telefonzentrale in Wohlen eröffnet, im ersten Jahr mit 23 Abonnenten.

Die Wahl von Elise Wohler wirkte nach. Denn schon nach wenigen Jahren arbeiteten auf dem Telegrafenamt ständig Frauen. Aus der Ostschweiz kam Angelina Braun (1895-1963) als Telegrafistin und Telefonistin nach Wohlen.

Sie versah den Dienst bis zur Heirat mit Hugo Breitschmid, der an der Waltenschwiler-strasse sein Geschäft betrieb. «Meine Schwiegermutter hat die Verbindungen noch von Hand gestöpselt», erzählt Angelina Breitschmids Schwiegertochter Silvia Breitschmid-Montanarini.

Zufällig wohnten zwei andere Telegrafistinnen ebenfalls an der Waltenschwilerstrasse: die ledigen Schwestern Hedi Breitschmid (1899-1982) und Trudi Breitschmid (1903-1999). Sie waren erblich vorbelastet. Ihr Vater Jakob Leonz Breitschmid, vermutlich ein Nachfahre des ersten Posthalters, arbeitete auf der Post in Wohlen als Briefträger. «Ich habe die beiden Telegrafistinnen in meiner Amtszeit als Postverwalter in Wohlen erlebt», berichtet Hermann Vögeli (94).

In seiner Zeit sei das Telegrafenamt Wohlen eines der grössten in der Schweiz gewesen, sagt er. Die beiden Telegrafistinnen Hedi und Trudi Breitschmid seien äusserst versiert und sprachenkundig gewesen. Sie hätten zu allen Kundinnen und Kunden einen guten Draht gehabt, einen besonders guten aber zur «Haute volée» in Wohlen, die damals in der Strohindustrie zu finden gewesen sei. «Es kam oft vor, dass die Schwestern Breitschmid zum Tee in einem Fabrikantenhaus eingeladen waren. Denn die Strohfabrikanten waren die besten Kunden des Telegrafenamtes», weiss Vögeli. «Die guten Beziehungen mit der Strohindustrie wollten die beiden Schwestern natürlich wenn immer möglich pflegen.»

Strohindustrie belebt Geschäft

Aus einer Chronik weiss man, dass die Strohfabrikanten nicht nur viele Telegramme in alle Welt aufgaben und von dort auch erhielten, sondern um die Jahrhundertwende in der Wintersaison täglich 400 bis 600 Postpakete verschickten. 1911/12 liess deshalb Martin Wohler das in seinem Besitz stehende Postgebäude umbauen. Bis 1930 brachte die Strohindustrie dem Postamt Wohlen einen überdurchschnittlichen Auslandverkehr.

1950 übernahm die PTT das Postgebäude. Sie trennte die Telefonzentrale von der Post und baute diese aus. Statt an drei wurde die Kundschaft von jetzt ab an fünf Schaltern bedient.

Das Telegramm und die Telegrafistinnen prägten eine Zeit, die längst vorüber ist. Viele könnten allerdings noch davon erzählen, dass sie zur Hochzeit oder zum runden Geburtstag ein Glückwunschtelegramm erhielten oder sogar mehrere.

In der Geschäftswelt gehörte das Telegramm zum festen Bestandteil des Alltags. Der Telegraf stand am Anfang der modernen Telekommunikation und der nationalen wie der internationalen technischen Vernetzung der Schweiz.

Die digitalen Medien gaben dem Telegramm den Todesstoss. 1999 stellten Post und Swisscom den telegrafischen Inlanddienst ein. «Ein Unsinn», meint der ehemalige Angliker Posthalter Herbert Vock. Er und seine Ehefrau Hanny nahmen noch oft Telegramme entgegen und leiteten sie weiter. Vock vermisst auf jeden Fall die schön gestalteten Telegrammformulare. Vielen anderen wird es gleich gehen.