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Freiamt
Das junge Bremgarter Ehepaar Ramona und Andreas Kopp ist nach Katar ausgewandert – die AZ hat die beiden in der neuen Heimat besucht.
«Man ist hier freier als in der Schweiz», sagt Andi Kopp und lässt den Blick über die Sanddünen schweifen. Dass er mit «hier» ausgerechnet Katar meint, ein Land, in dem viele Frauen verschleiert herumlaufen, das bei uns wegen der Skandale rund um die Fussball-WM und wegen seiner Klimasünden in die Schlagzeilen geraten ist, erstaunt. «Hier lässt jeder jeden leben», führt der Freiämter aus. «Dieses Bünzlitum, das es bei uns gibt, findet man hier nicht.»
Eine Gruppe Schweizer sitzt mitten in der Wüste, die Dunkelheit hüllt die Zelte ein, und auf dem Campingtisch steht ein Caquelon, in das sie ihr Brot tunken. Nachdem sein Arbeitgeber ihm vor gut zwei Jahren ein entsprechendes Jobangebot unterbreitet hatte, ist Andi Kopp nach Doha ausgewandert.
Ein Jahr später heiratete er seine Freundin Ramona, die ihm von Bremgarten nach Katar folgte. Lange hatte sie sich diesen Schritt überlegt, es brauchte viel Überwindung: «Als ich das erste Mal hier war, kämpfte ich mit den Tränen, ich hatte Angst. Ich wusste nicht, was auf mich zukommt», erzählt Ramona. Ihr blondes Haar ist kurz, über den linken Arm erstrecken sich Tattoos von Disney-Figuren. Nicht gerade üblich in der Wüstenstadt. «Ich habe damit gerechnet, dass mich die Leute verurteilen. Dass sie Vorurteile haben, genau wie wir in der Schweiz, wenn eine Frau mit Kopftuch herumläuft», erzählt die Freiämterin. «Mittlerweile glaube ich, den Leuten ist es egal. Sie schauen mich an, aber werten mein Aussehen nicht. Sie sind zuvorkommend und hilfsbereit.» Andi bestätigt: «Einmal hat unser Auto in der Wüste den Geist aufgegeben. Sofort haben andere angehalten, uns mitgenommen und den Abschleppdienst organisiert.»
Aber auch für Andreas war der Start im neuen Land zumindest ungewohnt. «Ich wohnte in einer WG mit drei Leuten, die am gleichen Ort arbeiteten, die ich aber noch nicht kannte. Zudem war Ramadan, dann läuft hier nicht viel», beschreibt er seine ersten Eindrücke. Mit den Einheimischen selbst hat er wenig zu tun. Nicht zuletzt, weil diese in der Minderheit sind: Der Ausländeranteil liegt bei etwa 80%. Die Katarer sind gesellschaftlich bessergestellt, das ist in ihrem Land normal. So gehen sie in einem Laden auch mal an einer Schlange wartender Kunden vorbei und werden direkt bedient.
Wie wirken die Katari auf die Schweizer? «Sie sind eher reserviert. Es gibt wenig Berührungspunkte», beschreibt Andi. Auch seine Berufskollegen, die mit uns in der Wüste zelten, haben ein ähnliches Bild. Jeder dürfe hierherkommen und sich ein Stück vom Kuchen abschneiden, erklärt man mir. Aber für immer bleiben will und darf keiner der Schweizer. Wer nach Katar kommt, ist Tourist oder arbeitet hier. Asylsuchende oder Arbeitslose auf Jobsuche werden abgewiesen.
Wer in Katar lebt, ist also auf seine Arbeitsstelle angewiesen. Wer gegen Gesetze verstösst, kann diese verlieren und muss das Land verlassen. Das wiederum hat zur Folge, dass die Kriminalität niedrig ist. «Vermutlich hört man auch nicht von allem, was passiert», erzählt Andi. «Aber man kann zum Beispiel das Auto offen stehen lassen, das Handy auf dem Beifahrersitz, das wird nicht geklaut.»
Und was vermissen Ramona und Andi Kopp aus ihrer Heimat? «Die Bar gegenüber unserer alten Wohnung in Bremgarten, die Reuss, die Leute. Dass man sich kennt», erzählt Ramona. Dass die beiden irgendwann zurückkommen, ist klar, Andis Job ist zeitlich befristet. Was hat ihn überhaupt dazu bewogen, das Angebot anzunehmen? «Ich war neugierig, wollte eine andere Kultur kennen lernen. Und ich wollte wissen, wie es ist, einmal selbst der Ausländer zu sein.»
Was ein Vor- wie ein Nachteil sein könne, sei die Willkür der Behörden. «In der Schweiz ist alles klar geregelt. Hier kann es sein, dass ein Antrag abgewiesen wird, weil er nicht vollständig sei, und am nächsten Tag reicht man die gleichen Papiere nochmals ein und er wird bewilligt», erzählt Andi.
Es ist Nacht geworden in der Wüste, immer noch fahren vereinzelt Geländewagen über die Sanddünen. Wir laufen durch den warmen Sand ans Meer und setzen uns ins Salzwasser, blicken über die dunkle Wasseroberfläche. Ein Gefühl von Freiheit macht sich breit.