Der Eritreer Desbla Haile wohnt mit Ehefrau Luli Lemma und drei Kindern in der Asylunterkunft Salmen
Seit drei Monaten wohnt die Familie von Desbla Haile in der kantonalen Asylunterkunft im ehemaligen Restaurant Salmen in Wohlen. Zusammen mit einer Afghanischen Familie waren sie die Ersten, die hier einzogen, mittlerweile wohnen sie mit knapp 30 anderen Asylsuchenden im grauen Gebäude im Zentrum Wohlens (siehe Box).
Sie stecken im Asylverfahren, warten auf ihr erstes Interview in Bern, bei dem sie dem Staat ihre ganze Geschichte erzählen müssen. Danach werden sie weiter warten auf ein zweites, vielleicht auch drittes Interview, aufgrund dessen das Bundesamt für Migration entscheiden kann, ob die Familie in der Schweiz aufgenommen wird oder nicht. Aber von einem zum nächsten Termin könnte ein ganzes Jahr vergehen.
Wie kam die Familie nach Wohlen? Warum beantragen sie Asyl in einem Land, das so ganz anders ist als ihre Heimat? Warum wollen sie nicht nach Hause? Können sie nicht zurück?
Die kantonale Asylunterkunft im ehemaligen Restaurant Salmen wurde vor drei Monaten von den ersten Familien bezogen. «In den zwei Obergeschossen sind acht Zimmer, in denen je eine Familie leben kann. Duschen und WCs müssen sie teilen, ebenso Küche und Aufenthaltsraum, aber das geht gut», sagt Nadja Märk, die als Betreuerin für den Salmen, wie auch für Unterkünfte in anderen Dörfern bis auf den Mutschellen zuständig ist. Die Asylsuchenden sind alle noch im Verfahren, das bedeutet, dass sie noch nicht wissen, ob sie in der Schweiz bleiben dürfen. Derzeit leben rund 30 Menschen aus Eritrea, Afghanistan, Sri Lanka und dem Irak im Salmen, darunter 15 Kinder. Der Platz reicht für 40 Personen. «Die Unterkunft im Salmen läuft bisher sehr gut», ist sie froh. (aw)
Alles begann, als der heute 42-jährige Desbla Haile 14 Jahre alt war. Er lebte in der eritreischen Hauptstadt Asmara, dort, wo auch seine heute 30-jährige Frau herkommt. In Filmen und Werbesendungen hatte er von den Soldaten gehört, die das Land gegen Äthiopien verteidigten. Er wurde so stark von der Propaganda mitgerissen, dass es für ihn Ehrensache war, sich freiwillig für die Armee zu melden.
«Ich habe mit dem Gewehr auf Menschen geschossen. Ich habe nie gesehen, ob ich jemanden getroffen habe, denn wir waren im Wald und haben einfach in Richtung des Feindes geschossen. Habe ich jemanden getötet oder nicht? Das weiss ich nicht. Damals war es mir egal», erzählt der dreifache Familienvater ehrlich. Irgendwann kamen ihm aber Zweifel an dem, was man von ihm verlangte. «Ich wollte nicht mehr töten.» Doch das sahen seine Vorgesetzten nicht ein und steckten ihn ins Gefängnis. Er war damals 19 Jahre alt.
Fünf Jahre lebte er eingesperrt in einem Raum mit vielen anderen Gefangenen. Mehr erzählt er nicht darüber. «Nach fünf Jahren wurde ich wieder entlassen und sollte zurück zur Armee», erinnert er sich. Erst bekam er aber einen einmonatigen Heimaturlaub, um endlich seine Mutter wiederzusehen. «Von dort bin ich sofort in den Sudan geflohen und nach zwei Monaten weiter nach Istanbul, wo ich jede Arbeit annahm, die ich bekommen konnte, vor allem auf Baustellen.» All das erzählt er in gebrochenem Englisch, oft übersetzt von seiner Ehefrau, denn ihr Schulenglisch ist gut, was der Familie schon oft zugutegekommen ist.
Luli Lemma hingegen musste nicht aus ihrer Heimat fliehen, sondern kam, als ihre Mutter vermutlich an einer Krankheit starb, wie sie sagt, mit vier Jahren in die Obhut ihrer Tante nach Istanbul. Dort besuchte sie die Schulen und weiss kaum mehr etwas über ihre Heimat. «Meine Tante sagte immer, dort sei es schmutzig, mehr weiss ich nicht», berichtet sie.
In der türkischen Metropole lernte sie ihren Landsmann und heutigen Ehemann kennen. Doch sie fanden kaum Arbeit und versuchten darum ihr Glück in Athen, wo sie sich elf Jahre durchschlugen. «Aber auch da gab es kaum Arbeit und keine Zukunft für unsere Kinder», erklärt die sympathische Frau, während sie ihrer Jüngsten, der 2-jährigen Etania, das Fläschchen gibt. «Man sagte uns, in der Schweiz seien die Schulen sehr gut, wir sollten es dort versuchen.»
Also reiste die Familie per Zug nach Deutschland und von dort an die Grenze nach Basel, wo sie 25 Tage in einem Auffanglager untergebracht wurde. Weitere zwei Wochen verbrachten sie im kantonalen Erstaufnahmezentrum in Buchs, bevor sie vor drei Monaten nach Wohlen kamen.
«Europa kann man überhaupt nicht mit Eritrea vergleichen. In Wohlen gefallen uns vor allem die schönen Spielplätze, die wir mit den Kindern täglich besuchen. Die Menschen sagen freundlich ‹Grüezi› und schauen uns nicht komisch an, weil wir eine andere Hautfarbe haben», erzählt Luli Lemma. Betreuerin Nadja Märk ergänzt: «Da die Kinder noch nicht zur Schule gehen, kümmern sich die Eltern den ganzen Tag um sie. Ab dem Sommer, wenn die Zwillinge hoffentlich in den Kindergarten kommen, werden sie mehr Zeit haben, um Deutsch zu lernen.»
Doch auch jetzt würden sie sehr gerne Deutschunterricht besuchen, «die Kurse sind aber aufgrund der hohen Gesuchszahlen auf Monate ausgebucht», so Märk. «Jeden Montag können sie wenigstens ein Angebot der Toolbox besuchen, das ist schon mal ein Anfang.» Obwohl sie sich noch nicht richtig beschäftigen können, gefällt der Familie ihr Leben in Wohlen. «Mit den anderen Familien, die aus anderen Kulturen stammen, und mit denen wir uns oft mit Händen und Füssen verständigen müssen, kommen wir trotz allem gut aus», ist Luli Lemma froh. «Das Haus ist schön. Wir gehen jeden Sonntag in die grosse Kirche nebenan, um zu beten. Und bald können wir Deutsch lernen, dann wird sicher vieles leichter.»
«Natürlich würde ich gerne zurückreisen, um meine Mutter zu sehen, denn es geht ihr nicht gut, sie ist fast blind und sie vermisst uns alle sehr. Aber das geht nicht», ist Desbla Haile traurig. Und das Geld, das sie vom Staat bekommen, reicht gerade fürs Essen. «Aber uns geht es gut, wir sind froh, dass wir hier sein dürfen, und hoffen, das wir bleiben können», ergänzt Luli Lemma. Das hofft auch Märk für sie, denn die Familie gebe sich grosse Mühe, sich anzupassen.