Bremgarten
Nach anonymer Plakat-Aktion an Ostern: Was ein Städtlibewohner über Marco Polo denkt

Vor knapp drei Wochen kritisierten Unbekannte mit einer Plakat- und Banneraktion in der Altstadt von Bremgarten die Firma Marco Polo Business Apartments. Die Reaktionen darauf aus gewerblichen Kreisen hinterlassen bei Anwohner Vincenzo Scilingo ein «mulmiges Gefühl». Nun äussert er seine Sicht in der Öffentlichkeit.

Marc Ribolla
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Der Bremgarter Vincenzo Scilingo wohnt in der Altstadt mit Blick auf die Marktgasse und den Städtlimärt (im Hintergrund).

Der Bremgarter Vincenzo Scilingo wohnt in der Altstadt mit Blick auf die Marktgasse und den Städtlimärt (im Hintergrund).

Bild: Marc Ribolla

Seit rund neun Jahren lebt Vincenzo Scilingo mit seiner fünfköpfigen Familie in der malerischen Altstadt von Bremgarten. Von seiner Wohnung aus geniesst der 52-jährige Lehrer den Blick hinunter auf die Marktgasse. Auch er bekam die dortige anonyme Plakat- und Banneraktion vor drei Wochen mit.

Die Urheber kritisierten das Geschäftsverhalten der Marco Polo Business Apartements AG in Bremgarten unter anderem als «Verdrängung by Marco MonoPolo». Geschäftsführer René Holenweger äusserte sich dazu in der AZ und auf Facebook, im «Bremgarter Bezirksanzeiger» nahmen auch weitere Geschäftsleute Stellung, indem sie sich auf die Seite von Marco Polo stellten.

«Ein Investor hat eine andere Sicht als ein KMU»

Diese einseitige Sicht und die Reaktionen liessen Vincenzo Scilingo keine Ruhe. Deshalb entschied er sich, an die Öffentlichkeit zu gehen, um seine Meinung zu vertreten. Er sagt im Gespräch mit der AZ:

«Die vielen Projekte und Übernahmen lösen bei mir ein mulmiges Gefühl aus, weil überall Marco Polo involviert zu sein scheint.»

Scilingo findet, dass die Stadt mehr auf Vielfalt achten sollte. Investor Marco Polo als erlösenden Retter der Altstadt zu preisen, ist für ihn zu sehr aus rein wirtschaftlicher Sicht betrachtet. Er erwähnt Aussagen wie das Generieren von Arbeitsplätzen oder das Erhöhen der Kundenfrequenz als Beweis für eine einzige wirtschaftliche Perspektive. Darin sieht er auch die Gefahr einer klaren Dominanz des rein wirtschaftlichen Denkens.

Seit neun Jahren wohnt Vincenzo Scilingo in Bremgarten.

Seit neun Jahren wohnt Vincenzo Scilingo in Bremgarten.

Bild: Marc Ribolla

Für Scilingo liegt es auf der Hand, dass sich das Stadtbild durch die Präsenz eines einzigen Investors verändere. «Ein Investor hat eine andere Firmenphilosophie als ein KMU oder ein lokaler Familienbetrieb», sagt er. Er zieht im Gespräch einen Vergleich und meint:

«Wir sind keine Bahnhofstrasse. Wir brauchen eine Stadt, die den Kontakt zwischen den Menschen schätzt.»

Die Mischung in der Altstadt müsse stimmen. Wenn man beispielsweise nach Baden schaue, gäbe es dort fast nur noch Läden und in oberen Etagen Büros.

Für die anonyme Plakataktion zeigt er ein gewisses Verständnis. «Ohne jemanden verteidigen zu wollen, finde ich, sollte es erlaubt sein, anonym und mit etwas überspitzter Sprache Aufmerksamkeit zu erhalten. Natürlich nur, sofern niemand verletzt oder beleidigt wird und kein Sachschaden entsteht», sagt Scilingo. Er fügt hinzu: «Dies finde ich, auch wenn einige Aspekte in den Formulierungen ein wenig unpräzise erscheinen. Die Reaktionen zeigen, dass man dem ‹Establishment› wohl etwas auf die Füsse getreten ist.»

Stadtrat und Gewerbe sollen sich mit Städtlibewohnern austauschen

Im Gespräch mit der AZ zitiert er immer wieder literarische Passagen von Dichtern, beispielsweise aus Mascha Kalékos «Window-Shopping», und vergleicht die Situation mit Bremgarten. «Ein Städtli, bei dem das Volk wie in jenem Gedicht zu den Schaufenstern strömt und sich vor dem Goldenen Kalb platt auf dem Bauch legt, ist nur schon als gedachte Zukunftsvision schrecklich», philosophiert Scilingo.

Er betont, dass die Debatte über die Zukunft Bremgartens nun lanciert sei. Ein Patentrezept, um alle Interessen unter einen Hut zu bringen, hat auch Vincenzo Scilingo nicht. Er sagt aber:

«Mein Wunsch wäre, dass der Stadtrat und das Gewerbe regelmässig mit den Städtlibewohnern zusammensitzen und die Bevölkerung anhören.»

Die Stadt liege ihm am Herzen und seine Familie fühle sich wohl. Bremgarten habe eine so tolle Geschichte, dass es auch eine kulturell-historische Aufwertung brauche, statt nur eine wirtschaftliche. «Wichtig sind der Wunsch und die Absicht, gemeinsam eine Altstadt zu gestalten, in der nicht nur der rollende Rubel alles andere in den Schatten stellt, sondern wo der Mensch in all seinen Facetten, Interessen und Bedürfnissen ins Zentrum gerückt wird», sagt Scilingo.

Blick in die Bremgarter Marktgasse.

Blick in die Bremgarter Marktgasse.

Bild: Marc Ribolla