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War es Hausfriedensbruch durch die Polizei oder Gewalt gegen Beamte? Das Aargauer Obergericht musste einen Vorfall zwischen einem Landwirt und zwei Polizisten beurteilen. Der Mann hatte sich zu Hause nicht ausweisen und die Tür schliessen wollen, worauf ein Polizist einen Fuss ins Haus stellte.
«Wer hat angefangen?» So lautet meist die erste Frage, wenn nach einer Auseinandersetzung die Schuldfrage geklärt werden muss. So auch bei einer missglückten Polizeikontrolle auf einem Hof im Freiamt, bei der es zu einem Gerangel zwischen einem Polizisten und einem Landwirt kam und beide sich Schürfungen und Prellungen zuzogen. War der Landwirt Schuld, weil er mit seiner Hand an den Hals des Polizisten griff? Oder kam es nur soweit, weil der Beamte den Landwirt zuvor am Schliessen seiner Haustüre hindern wollte, in dem er seinen Fuss ins Haus stellte und damit aus Sicht des Verteidigers des Landwirts Hausfriedensbruch beging?
Alle drei Beteiligten, der Landwirt und die zwei Polizisten, mussten sich diese Woche vor dem Aargauer Obergericht einfinden, weil der Landwirt gegen die Urteile des Bezirksgericht Bremgarten Berufung eingelegt hatte. Die Bremgarter Richter hatten den Landwirt 2018 wegen Gewalt gegen Beamte zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 Franken und einer Busse von 300 Franken verurteilt; die beiden Polizisten hat das Bezirksgericht hingegen vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung und des Hausfriedensbruchs freigesprochen. Alle drei Beteiligten wurden nun nochmals von einem Richter befragt. Alle drei betonten, dass ihre Erinnerungen langsam verblassen. In etwa hat sich aber am 31. Juli vor sechs Jahren Folgendes abgespielt.
Zwei Polizisten erhielten den Auftrag, auf einem Bauernhof im Freiamt ein Motorrad zu kontrollieren, dessen Fahrer sich zuvor pflichtwidrig von einem Unfall entfernt hatte. Der Besitzer des Fahrzeugs, der Landwirt, zeigte sich aber unkooperativ. Er sagte zu den Polizisten, er wisse nicht, wo das Motorrad sei, und er sage nichts ohne seinen Anwalt. Daraufhin verlangten die Polizisten, dass er sich zumindest ausweise. Dieser dachte aber nicht daran und wollte die Türe schliessen, woraufhin sich die Kettenreaktion auslöste und die Situation eskalierte: Einer der beiden Polizisten stellt den Fuss in die Türe, der Landwirt greift ihm an den Hals, sprich, er will ihn gemäss eigener Aussage wegstossen, woraufhin es im Entrée des Hauses zum Gerangel kommt. Der zweite Polizist, der sich nicht mehr erinnern kann, wie es zum Gerangel kommt, eilt seinem Kollegen zur Hilfe. Dem Landwirt werden Handschellen angelegt, er wehrt sich aber weiter heftig. So heftig, dass er und einer der beiden Polizisten kurz darauf auch noch eine Treppe hinunterstürzen.
Der Verteidiger des Landwirts forderte einen Freispruch für seinen Mandanten, da dieser aus Notwehr gehandelt und sich lediglich gegen eine ungerechtfertigte Handlung der Beamten gewehrt habe. Diese hätten ohne Durchsuchungsbefehl kein Recht dazu, auch nur einen Fuss ins Haus zu setzen. «Ich kann mir keine schlimmere Form von Hausfriedensbruch vorstellen», führte der Verteidiger aus. «Es kann doch nicht sein, dass ein bislang unbescholtener Bürger in seinem eigenen Haus von der Polizei überwältigt wird.» Ein solcher Vorfall dürfe sich nicht wiederholen, betonte er. «Das Recht der Polizei, die Identität festzustellen, muss sich auf den öffentlichen Raum beschränken. Sonst könnten Polizisten immer ohne Durchsuchungsbefehl ins Haus eindringen.»
Das Obergericht wies alle drei Berufungen ab und folgte vollumfänglich der Vorinstanz und gab die Schuld an der Eskalation dem Landwirt. Sein Widerstand, den Polizisten Auskunft zu geben und seinen Ausweis zu zeigen, sei nicht verständlich, sagte der verfahrensführende Richter Jürg Lienhard. «Er hat versucht, die Türe zu schliessen und dadurch den Anstoss zur Eskalation gegeben.» Dass der Polizist mit seinem Fuss das Schliessen der Türe verhindern wollte, sah das Gericht als gerechtfertigte Handlung an und begründete dies mit Gefahr in Verzug. Sprich dem Grundsatz, dass die Behörde sofort handeln darf, wenn sonst Schaden entstehen oder Beweismittel vernichtet würden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.