Sie ist nur 1 Millimeter dick und hat einen Durchmesser von 4 Zentimetern: Archäologen rätseln über die kleine Bleischeibe. Sie könnte belegen, dass irgendjemand in Wohlen Handel mit der South Sea Company aus London getrieben hat, die vor allem im Sklavenhandel, aber auch im Walfang und Warenhandel tätig gewesen ist.
In ihrem neuesten Newsletter stellt die Kantonsarchäologie ein Objekt vor, das noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt wurde. Es liegt in der archäologischen Sammlung des Kantons. Doch gefunden wurde das spezielle Stück in Wohlen.
Es ist mit einem Durchmesser von 4 Zentimetern und einer Dicke von 1 Millimeter auf den ersten Blick völlig unscheinbar, «jedoch einzigartig», schreibt die Kantonsarchäologie. Das kleine, runde Objekt aus Blei ist schlicht eine Bleiplombe. Solche wurden früher zum Versiegeln von Waren für den Transport und bei Qualitätskontrollen verwendet.
Plomben befestigte man direkt an der Ware oder an Transportbehältern. Am Zielort wurde die Plombe dann aufgebrochen. «So konnte sichergestellt werden, dass die Ware nicht manipuliert oder beschädigt worden war.» Plomben sind damit materielle Zeugnisse des Wirtschaftslebens, «anhand derer direkte Handelsbeziehungen nachgewiesen werden können». Aber, so heisst es im Text weiter:
«Dies allein ist noch nicht ungewöhnlich, das macht erst die Herkunft der Plombe: Sie stammt nämlich aus England.»
Auf der Vorderseite ist das Wappen der South Sea Company abgebildet. «Ursprungsort unserer Bleiplombe ist London», schreibt die Kantonsarchäologie. Hier wurde die Handelsgesellschaft South Sea Company 1711 gegründet. Darum datiert die Kantonsarchäologie die kleine Plombe zwischen 1711 und 1853, in dem Jahr wurde die Company aufgelöst.
«Zurzeit lassen sich die Plomben schwer enger datieren, denn sie sind selten und stammen meist nicht aus klaren Fundkontexten», schreibt Pirmin Koch, Freiwilligenmanager und Archäologe bei der Kantonsarchäologie, auf Anfrage.
Weiter steht im Newsletter über die South Sea Company: «Tatsächlich betätigte sie sich im Handel mit versklavten Menschen und nebenbei im Walfang und im Warenhandel. Bisher gibt es – unsere Plombe ausgenommen – in der Schweiz keine eindeutigen Belege.»
Leider bleibe unbekannt, welche Waren mit dem Siegel der South Sea Company plombiert und verhandelt wurden. Eine Idee haben die Archäologen allerdings, die zum Freiamt passen würde:
«Die Warenlieferung könnte mit der regionalen Strohindustrie in Zusammenhang stehen, denn die Produkte aus Stroh fanden internationalen Absatz.»
Auch wenn dies ungewiss bleibe, sei es doch ein belegtes Stück England in Wohlen, schliesst sie ihren Bericht.
Doch wo wurde die kleine Plombe überhaupt entdeckt? «Sie wurde 2019 im Rahmen einer Baustellenüberwachung in Wohlen im Gebiet Rummel/Schweikhof gefunden», erklärt Archäologe Pirmin Koch. «Das Gebiet liegt im Umkreis zweier im Fundstelleninventar erfasster, aber noch wenig bekannter Fundstellen aus der späten Eisenzeit und der Römerzeit.» Aus diesem Grund liess die Kantonsarchäologie das Baugelände der Remise vorgängig und nach dem Humusabtrag mit dem Metalldetektor absuchen.
Und zwar von Cornel Braunwalder. Der Wohler arbeitet schon seit längerem im Freiwilligenprojekt der Kantonsarchäologie im Raum Wohlen und Villmergen. Darum hatte er die Erlaubnis, an dieser Stelle den Metalldetektor einzusetzen. Koch erklärt:
«So sollte abgeklärt werden, ob die beiden Fundstellen überhaupt durch die Bauarbeiten betroffen und ob allfällige archäologische Objekte im Boden verborgen sind.»
Dank der Zusammenarbeit mit den Freiwilligen kann die Kantonsarchäologie «zielgerichtete Massnahmen zum Schutz der archäologischen Hinterlassenschaften ergreifen», betont Koch. Auch in diesem Fall hat die sogenannte Baustellenprospektion durch Freiwillige ihre Wichtigkeit bewiesen, «denn so lassen sich bereits vor Baubeginn erste archäologische Abklärungen treffen, und weitere Massnahmen können auf das Bauprojekt abgestimmt werden».
Die Kantonsarchäologie kann sich natürlich nicht sicher sein, dass die Plombe von Handelswaren stammt, die ins Freiamt geliefert wurden. Ein Reisender könnte sie von anderswo hergebracht haben. Koch bestätigt: «Das lässt sich natürlich nicht ausschliessen, genauso wie andere Szenarien. Es scheint aber wenig wahrscheinlich, da bislang nicht bekannt ist, dass solche Objekte speziell als Andenken mitgebracht wurden.»
Bei Plomben handle es sich um «Wegwerfobjekte». Sobald die plombierte Ware ihr Ziel erreichte, wurde die Plombe aufgebrochen und entsorgt. Koch mutmasst:
«Vermutlich gelangte sie mit dem ausgebrachten Mist oder Müll an ihren Fundort.»
In ihrer Jahresschrift, die im Februar erscheint, wird sich die Historische Gesellschaft Freiamt detailliert mit der kleinen englischen Plombe befassen.
Für Geschichtsinteressierte hat die Kantonsarchäologie den «Archäologischen Adventskalender: Best of 2021» auf ihrer Website aufgeschaltet. Mehr zum Freiwilligenprogramm der Kantonsarchäologie gibt es unter www.ag.ch/archaeologie-freiwillige