Freiamt
An Karfreitag assen Mönche früher Schildkröten

Die Europäische Sumpfschildkröte ist im Freiamt heimisch. Das Tier ist aber bedroht, weil ihr Lebensraum immer knapper wird. «Ohne geeignete Massnahmen wird sie kaum überleben», sagen Biologen.

Andrea Weibel
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Die Europäische Sumpfschildkröte (hier ein Männchen) ist auch im Freiamt heimisch. zvg

Die Europäische Sumpfschildkröte (hier ein Männchen) ist auch im Freiamt heimisch. zvg

An Fisch und Gemüse allein schienen die Mönche früher an Fastentagen wie dem Karfreitag, an dem traditionell kein Fleisch gegessen werden darf, nicht genug zu haben. Denn in wenigen Quellen, vor allem aber mündlich ist überliefert, dass sie «fischähnliche» Tiere oder solche, die zu Fischen erklärt worden waren, gegessen haben. Dazu gehören vor allem zwei Tiere, nämlich der Biber (siehe Kasten) und die Schildkröte.

Gentests zeigen die Herkunft

Prähistorische Funde belegen, dass die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) bereits vor mehr als 5000 Jahren auf der Speisekarte der Pfahlbauer am Bodensee gestanden hat. «Im Mittelalter war sie von Mönchen als Fastenspeise begehrt. Ganze Wagenladungen wurden aus Osteuropa herangekarrt», schreibt Biologe Goran Dusej von der Stiftung Reusstal.

Auch der Biber galt als Fisch und somit als Fastenspeise

Wie die Schildkröte und vermutlich auch andere Tiere galt der Biber früher als Fastenspeise. Dies bezeugen die Schriften des Jesuitenpaters Charlevoix von 1754: «Bezüglich seines Schwanzes ist er ganz Fisch, und er ist als solcher gerichtlich erklärt durch die medizinische Fakultät in Paris, und in Verfolg dieser Erklärung hat die Theologische Fakultät entschieden, dass das Fleisch an Fastentagen gegessen werden darf.» Weiter taucht der Biber im Tischgebet von Mönch Ekkehard IV. aus dem Kloster St.Gallen auf, das um das Jahr 1000 geschrieben wurde: «Sit benedicta fibri caro piscis voce salubri.» (Gesegnet sei des fischähnlichen Bibers Fleisch.)

Doch dass der Biber, der in der Schweiz einst sehr häufig vorgekommen ist, im 19. Jahrhundert hierzulande aber völlig ausgerottet war, hängt wohl nicht bloss mit seinem Fleisch zusammen. Sein Schwanz galt zwar als Delikatesse, doch war vor allem sein wertvoller Pelz sehr begehrt. Nicht weniger gefragt war das Bibergeil, ein Sekret aus den Drüsensäcken des Bibers, heisst es in den Quellen, die Josef Fischer, Geschäftsführer der Stiftung Reusstal, zusammengetragen hat. «Es diente als Wundermedizin gegen ziemlich alle Krankheiten. Vermutlich hat es tatsächlich eine schmerzlindernde Wirkung, enthält es doch eine Salicylverbindung», wird weiter erklärt.

Im späten 19. Jahrhundert war der Europäische Biber fast völlig ausgerottet. Er überlebte nur in wenigen Teilen Europas: im Unterlauf der Rhone, an der mittleren Elbe, in Südnorwegen und in einigen Flüssen Russlands. Heute sind auch an der Reuss wieder vereinzelt Biber
anzutreffen.(aw)

Weil aber nicht alle importierten Schildkröten auch auf den Tellern landeten, sondern zum Teil den Weg in die Freiheit fanden, sind noch heute beispielsweise am Hallwilersee verschiedene Formen der Europäischen Sumpfschildkröte vorhanden, die ursprünglich nicht aus der Schweiz stammen. Dies wurde durch Gentests ermittelt. Man fand aber auch jene Form, die tatsächlich von den prähistorischen Tieren abstammt, die bereits in diesem Gebiet gelebt haben.

Schildkröten auch an der Reuss

Doch nicht nur am Hallwilersee, dessen nördliches Ende besonders gute Lebens- und Fortpflanzungsräume für sie bietet, leben heute Europäische Sumpfschildkröten. Auch am Flachsee und an der Stillen Reuss können die Tiere manchmal beim Sonnenbaden beobachtet werden. Neben dieser einheimischen Schildkrötenart bevölkern aber auch eingeschleppte Arten das Reusstal. «Wir haben zum Beispiel schon öfter Rotwangen-Schmuckschildkröten gesehen», bestätigt Josef Fischer, Geschäftsführer der Stiftung Reusstal. Diese machen der akut gefährdeten einheimischen Art nicht nur die wenigen Brut- und Sonnenplätze sowie die Nahrung streitig, sondern können auch Krankheiten einschleppen.

«Bitte nicht aussetzen!»

Woher die ausländischen Arten stammen, ist nicht klar. Fischer hat zwei Erklärungen: «Sie sind sehr clever, darum werden einige wohl aus Hausteichen ausgebrochen sein. Andere wurden vermutlich ausgesetzt, denn Schildkröten können über hundert Jahre alt werden. Wenn ihre Besitzer beispielsweise sterben, glauben einige Leute, dass sie ihnen etwas Gutes tun, wenn sie die Tiere in einem Naturschutzgebiet aussetzen.»

Die Schildkröten seien dort zwar häufig überlebensfähig, aber auch schädlich für die einheimische Fauna und Flora. «Wenn wir sie einfangen können, bringen wir sie darum nach Biel in eine Haltungsstation», sagt Fischer. Er habe in den letzten 15 Jahren etwa fünf oder sechs eingeschleppte Schildkröten eingefangen, dazu kommen jene, die Goran Dusej gefangen hat.

«Es ist fünf vor zwölf»

«Für die akut vom Aussterben bedrohte Art ist es sprichwörtlich fünf vor zwölf. Ohne geeignete Massnahmen wird sie kaum überleben», so Dusej. Die Stiftung Reusstal wie auch die Karch (Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz) haben deshalb Massnahmen ergriffen, um einerseits die Lebensräume der Sumpfschildkröte zu verbessern, andererseits werden besonders in der Westschweiz derzeit immer mehr Tiere neu angesiedelt.

Auch die Waltenschwiler Fachhochschülerin Tamara Koch schreibt in ihrer Bachelorarbeit: «Um die Europäische Sumpfschildkröte zu schützen, ist es wichtig, dass die Menschen nicht nur ihr Aussehen kennen, sondern mehr über sie wissen.» Ein erster Schritt wäre das Verständnis, dass keine Schildkröten ohne Zustimmung von Fachpersonen ausgesetzt werden dürfen.

Mehr Infos zur Sumpfschildkröte gibt die Website www.swissemys.ch