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Zum 40-Jahr-Jubiläum leistete sich Bruno «der Abschlepper» Lindenmann ein neues Bergungsfahrzeug
Geschwindigkeit und Verlässlichkeit sind wohl zwei der Grundvoraussetzungen, um sich so lange erfolgreich in einem schnelllebigen Geschäft wie dem Pannen- und Unfalldienst zu halten. Wer mit Bruno Lindenmann aus Sarmenstorf diesbezüglich mithalten will, muss sich warm anziehen. Er hatte schon in den frühen 70er-Jahren die Zeichen der Zeit erkannt und machte sich, gerade mal 24 Jahre alt, als Garagist selbstständig. Die Autobranche boomte in jener Zeit mächtig. Der junge Unternehmer wusste aber, dass er längerfristig nicht nur vom Verkauf von Neuwagen leben konnte. Er kaufte sich 1976 sein erstes Abschleppfahrzeug, einen Bedford, und begann damit, Pannen- und Unfallwagen zu bergen. «Das war damals das erste Auto mit einem Kran im Freiamt», betont Lindenmann, der heute mit Stolz auf seinen Fuhrpark von neun Pannendienstfahrzeugen blickt.
Seine jüngste Anschaffung hat er sich zum 40-Jahr-Jubiläum seines Abschleppdienstes geleistet. Es ist ein Iveco-Stralis- Lastwagen mit Doppel-Schiebeplateau (Nutzlast: 7 Tonnen) und einem sogenannten Brillenaufsatz für das Abschleppen von Fahrzeugen bis zu 8 Tonnen. Ausserdem verfügt das Fahrzeug über einen Kran mit einer Tragkraft von 21 Metertonnen. Lindenmanns Augen funkeln, als er den leuchtend gelben LKW aus dem Unterstand fährt und auf dem Vorplatz in die Sonne stellt. «Das ist doch ein schönes Auto oder...?», sagt er und zeigt begeistert, welche Möglichkeiten und Extras in diesem Wunderwerk der Technik stecken.
Die Vorliebe vieler Autofahrer für immer grössere und schwerere SUV, diese massigen Kreuzungen aus Geländefahrzeug und Limousine, zwingen auch Dienstleister wie die Lindenmann AG dazu, ihren Wagenpark aufzurüsten. «Überhaupt», sagt der Firmeninhaber, «kann man heute in diesem Geschäft nur bestehen, wenn man sich permanent weiterbildet.» Jedes Jahr besuchen er und seine acht Mitarbeiter im Pannendienst diverse Kurse, um über sämtliche neuen Automodelle und die Besonderheiten bei deren Bergung auf dem Laufenden zu sein. Vor allem die Entwicklung der vielen neuen Elektro- und Hybridfahrzeuge birgt zusätzliche Gefahren, sowohl für die Insassen von Unfallautos wie auch für deren Helfer: «Bei jedem von uns muss heute der HV-Koffer dabei sein», erklärt Lindenmann. In diesem Koffer befindet sich die Schutzausrüstung bei der Bergung von Hochvoltfahrzeugen. «Elektrofahrzeuge stehen bei einer Panne oder einem Unfall schnell unter einer Spannung von bis zu 400 Volt. Man muss genau wissen, wo im Auto welche Batterien verteilt sind, sonst bringt man sich und den Fahrer in Gefahr.»
1977 hat Bruno Lindenmann seinen ersten Vertrag als Pannendienstanbieter mit dem TCS abgeschlossen. Dann stiegen die Versicherungen in dieses Geschäft ein und schliesslich auch noch die Automarken selber. Um unter allen Pannendienstanbietern qualitativ die Spreu vom Weizen zu trennen, wurde 1988 der für die Schweiz massgebliche Berufsverband Auto-Strassenhilfen-Schweiz (ASS) gegründet. Wer heute nicht Mitglied in diesem Verband ist, kann weder mit dem TCS noch mit einer Versicherung oder einer Auto-Assistance zusammenarbeiten. Als Lindenmann vergangene Woche sein neustes Abschleppfahrzeug nach zehn Monaten Produktionszeit mit einem grossen Fest einweihte, war unter den Gästen auch der Präsident der ASS, SVP-Nationalrat und Transportunternehmer Ulrich Giezendanner. Er hätte sicher Freude gehabt an der Rede von Bruno Lindenmann – doch die Hektik und der Trubel an diesem Jubeltag verursachte beim allzeit bereiten Pannenhelfer eine Panne: «Ich habe meine Rede schlicht und einfach vergessen.»
Der AZ hat er seine Worte aber vertrauensvoll überlassen, so kann deren Leserschaft erfahren, dass der 67-Jährige zwar unermüdlich und mit Freude im Einsatz ist, «24 Stunden, 365 Tage im Jahr», aber dennoch den Wandel der Zeit nicht nur positiv beurteilt: «Früher hat man noch geredet miteinander. Heute kommen die Aufträge übers Tablet herein. Viele können heute nicht mehr sagen, wo sie stehen, wenn sie eine Panne haben, und die Leute in den Notrufzentralen kennen unsere Ortschaften nicht. Die Kommunikation hat sich sehr verändert. Man trifft sich heute auf Facebook oder in anderen sozialen Medien, nicht mehr in der Stammbeiz.» Wenn er, oft mit Mühe, herausgefunden habe, wo ein Pannenfahrzeug stehe, stosse er vor Ort auf das nächste Problem: «Es gibt immer mehr Leute, die kein Deutsch sprechen. Da wird es schwierig mit der Verständigung. Zum Glück sprechen meine drei Töchter fast alle Sprachen. Da rufe ich halt eine von ihnen an und sie übersetzt via Handy.»
Ohne die Unterstützung seiner Frau, Inge, und der drei Töchter hätte er seinem anstrengenden und zeitaufwendigen Beruf nicht nachgehen können. «Dieser Beruf muss ein Hobby sein, sonst kann man das nicht machen», resümiert er seine letzten 40 Jahre, und «ganz ehrlich, wir Abschlepper sind alle etwas krank im Kopf.» Ansonsten sei er all die Jahre immer gesund geblieben, «dem Herrgott sei Dank». Neben dem Pannendienst betreibt der quirlige Unternehmer immer noch die eigene Garage mit Werkstatt mit acht weiteren Mitarbeitern. «Das ist auch die Zukunft unseres Geschäfts: eine gute Werkstatt und der Pannendienst.» Es ist kaum vorstellbar, dass eines Tages im Wynen- oder Seetal, im Freiamt oder auf dem Mutschellen nicht Bruno Lindenmann auftaucht, wenn man nach dem Pannendienst ruft, aber die nächste Generation steht schon bereit. Lindenmanns Mitarbeiter Samuel Gautschi erhielt dieses Jahr und als Erster im Freiamt sein Zeugnis als «Strassenhelfer mit eidgenössischem Fachausweis». Ausserdem ist er der Lebenspartner von Lindenmanns jüngster Tochter, Simona (34). «Es geht weiter», strahlt der stolze Vater eben noch unter seiner Kappe hervor, dann holt ihn die «Steiner Chilbi» ins Hier und Jetzt zurück. Am Handy ist der TCS, der einen Notfall in Brugg hat und dringend Hilfe braucht – Lindenmann springt in eines seiner «gäle Wägeli» und braust los.