In eigener Sache
Die Ära Fahrländer geht zu Ende

Hans Fahrländer (Fa.) geht in Pension. Schreiben bedeutet für ihn zuerst zuhören.

Christian Dorer, Chefredaktor
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Silvan Wegmann

Im Herbst 1979 erhielt Hans Fahrländer seinen ersten Arbeitsvertrag beim «Badener Tagblatt», dem Vorgängertitel der Aargauer Zeitung. Der damalige Verleger Otto Wanner setzte folgenden Schlusssatz unter den Vertrag: «Wir hoffen auf eine angenehme und erspriessliche Zusammenarbeit im beidseitigen Interesse.» Keiner der beiden hätte wohl damals gedacht, in welchem Ausmass dieser Wunsch erfüllt, ja übererfüllt werden würde.

Heute, 36 Jahre später, am Tag seiner regulären Pensionierung, lässt sich feststellen: Niemand auf der Redaktion hat die Entwicklung dieser Zeitung in den vergangenen Jahrzehnten derart stark geprägt wie Hans Fahrländer. Zuerst war er Redaktionsmitarbeiter im Ressort Aargau, dann Ressortleiter Baden, später Primus inter Pares in einer vierköpfigen Redaktionsleitung – und ab 1. Juli 1994 erster, einziger und letzter Chefredaktor des «Badener Tagblatts», dessen Redaktion zuvor immer in Personalunion direkt vom Verleger geführt wurde.

Warum ausgerechnet Hans Fahrländer diese Ehre zuteil wurde, hat mit den Kriterien zu tun, wie Chefs in diesem Haus ausgewählt wurden. Fahrländer hat das 1993 mal schön beschrieben, als er sich für ein Führungsseminar der Bertelsmann Stiftung bewarb: «Ich habe bereits eine Führungsposition, aber mir fehlt der theoretische Unterbau.» Und: «Die Auswahlkriterien für die Mitglieder der Redaktionsleitung lauteten: guter Schreibstil, solider Meinungsträger, Akzeptanz in der Redaktion, Kenntnis des Verbreitungsgebiets – aber nicht: Führungsqualifikation, Durchsetzungskraft, Entscheidungsfreude. Ich war bisher der Kamerad jener, die ich nun führen sollte.» Mag der theoretische Unterbau auch gefehlt haben, ein Nachteil war es nicht: Alle, die Fahrländer als Chef erlebt haben, loben seine Führungsqualitäten – gerade, weil er den Mix fand zwischen klarem Anspruch und kreativer Freiheit.

1996 kam es zum historischen Zusammenschluss zwischen «Badener Tagblatt» und «Aargauer Tagblatt». Der bisherige AT-Chefredaktor Franz Straub wurde die Nummer eins des fusionierten Blatts, Hans Fahrländer zuerst die Nummer zwei. Knapp zwei Jahre später demissionierte der Chefredaktor, für die Nachfolge setzte sich Fahrländer gegen potente externe Bewerber durch. Die kommenden fünf Jahre an der Spitze wurden zur Periode, in der er am meisten bewegte in seiner Karriere. Sein wichtigstes Verdienst: Er führte die Zeitung vom stramm konservativen, oft biederen Regionalblatt zu einer Forumszeitung mit klar liberalem Profil, die aber alle demokratisch legitimierten Meinungen zu Wort kommen liess und den Widerstreit der Ideen förderte.

Obwohl selber immer im kantonalen und regionalen Journalismus tätig, gelang es Hans Fahrländer, eine ganze Reihe von national renommierten Recherchierjournalisten und Edelfedern ins AZ-Hochhaus nach Baden abzuwerben – Hanspeter Bürgin, Othmar von Matt, Kurt-Emil Merki, Simon Bärtschi und andere. Er stellte junge Talente ein oder förderte sie, wie etwa Patrik Müller, Markus Häfliger (heute Bundeshauschef NZZ) und auch mich selber, seinen Nach-nach-Nachfolger. Wurde jemand dem Unternehmen untreu, bewahrte er Weitblick. Als ich die AZ verliess, um die Ringier-Journalistenschule zu besuchen, sagte er: «Ein verständlicher Entscheid – irgendwann kommst du zurück.» Zwischen 1998 und 2003 erlebte die AZ unter der Führung Fahrländers einen Höhenflug, sie erarbeitete sich nationales Ansehen und galt bald als beste Regionalzeitung der Schweiz.

Rückblickend kann niemand mehr nachvollziehen, warum Verwaltungsrat und Verleger plötzlich einen Wechsel in der Chefredaktion anstrebten. Die Redaktion verstand es bereits damals nicht: Es kam zu einer Unterschriftensammlung für den beliebten Chef, die allerdings nichts nützte, und in der internen Abschiedszeitung schrieb das Kollektiv der Mitarbeiter: «Hans Fahrländer ist nach aussen kein spektakulärer Chefredaktor; Profilierungsaktionismus kennt er nicht und braucht er nicht. Er wirkt aus dem Inneren der Redaktion. Fachverstand und Sachkompetenz zeichnen ihn aus. Besonders eindrücklich aber ist seine Fähigkeit, mit Menschen umzugehen, sie anzuleiten und zu führen. Seine Fairness ist sprichwörtlich und ebenso sein positives Menschenbild.» Kann man sich als Chef ein schöneres Kompliment wünschen?

Hans Fahrländer bekam Angebote von ausserkantonalen Medienhäusern, und er überlegte sich ernsthaft, die AZ Medien zu verlassen. Am Ende blieb er doch, zu sehr fühlte er sich im Aargau verwurzelt. Er wurde Autor, Kommentator, Analysenschreiber und Journalist mit Spezialgebiet Bildung; ein schwieriges Dossier, und es spricht für Hans Fahrländer, dass seine Kompetenzen sowohl von den Bildungsbeamten des Kantons wie auch von den Lehrern gleichermassen akzeptiert werden. Kantonsweit übernahm er regelmässig Moderationen von Anlässen, er präsidierte den Publizistischen Ausschuss der AZ Medien – vor allem aber war er eine wichtige Stimme in den Redaktionssitzungen. Gerade in einem relativ jungen Team tut es gut, wenn jemand Jahrzehnte überblickt und mit diesem Wissen gewisse Dinge anders einordnet.

Hans Fahrländer war der ruhige Pol in einer unruhiger werdenden Zeit, er brachte Gelassenheit mit und die Erfahrung, Ereignisse richtig einzuordnen. Gleichzeitig verkörperte er nie die Haltung des Bewahrers. Im Gegenteil: Er unterstützte seine Nachfolger bei der Erneuerung der Redaktion und in der digitalen Transformation. Ganz bewusst wollte er nie zu demjenigen werden, der von den guten alten Zeiten schwärmt. Er brachte seine Erfahrungen ein, wenn dies gewünscht waren – aber immer mit der Bemerkung, dass gewisse Dinge heute anders laufen und die jüngere Generation entscheiden müsse. Völlig verdient erhielt Hans Fahrländer 2012 für sein Lebenswerk den Journalistenpreis Aargau/Solothurn.

Ich bin 25 Jahre jünger als Hans Fahrländer und wurde vor sechs Jahren Chefredaktor. Keine einfache Konstellation – könnte man meinen. In Wahrheit war das Gegenteil der Fall: Gerade in der Anfangszeit habe ich bei älteren Kollegen regelmässig Rat eingeholt, und er hat ihn mir in seiner bescheidenen Art auch gegeben, ohne jemals belehrend oder gar besserwisserisch zu sein. Er hat mir mal anvertraut, dass seine Rolle unter der aktuellen, deutlich verjüngten Chefredaktion einfacher sei: Wir öffneten ein neues Kapitel und waren nicht mehr seine früheren direkt Untergebenen.

Hans Fahrländer wird nun mehr Zeit haben für seine Gattin Margrit, für Reisen, für Hobbys. Die gesamte Redaktion und ich ganz besonders werden Hans Fahrländer in den Redaktionssitzungen vermissen. Im Blatt bleibt er glücklicherweise präsent: mit seiner wöchentlichen Aargau-Kolumne in der «Schweiz am Sonntag» und mit regelmässigen Analysen zu nationalen Themen auf der Meinungsseite.