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Andreas Seibert kehrt nach 16 Jahren in der japanischen Hauptstadt Tokio in sein Heimatland zurück und wird hier für sein fotografisches Schaffen ausgezeichnet.
Die Shoji (Raumteiler) erinnern daran, dass Tokio 16 Jahre lang der Lebensmittelpunkt von Andreas Seibert und seiner Familie war. Seit einigen Jahren wohnt der 47-Jährige wieder im Aargau und hat mit seiner Frau Susanna Baer und den beiden Kindern eine Loft in Unterwindisch bezogen.
An den Wänden hängen Bilder aus den zwei kontrastreichen Welten, in denen der Fotograf sich zu Hause fühlt: Eine grosse Farbfotografie zeigt Büroarbeiter, sogenannte Kaisha-in, die etwas verloren in einem riesigen japanischen Geschäftshaus sitzen; zwei Schwarz-Weiss-Aufnahmen bringen die Schönheit der Auenlandschaft zum Ausdruck, die sich sozusagen vor seiner Haustür befindet.
«Presently based in Switzerland» steht auf Seiberts Website. «Ich schätze die Schweiz und ihre Menschen mehr denn je. Zudem sind die Ausbildungsmöglichkeiten für unsere Kinder hier besser. Deshalb entschieden wir uns, 2010 nach 16 Jahren Tokio in unsere Heimat zurückzukehren», erzählt der gebürtige Gebenstorfer. Aber wenn der Nachwuchs gross ist, könne er es sich schon vorstellen, wieder in einem anderen Land Fuss zu fassen.
Bilder von Andreas Seibert zur Katastrophe in Japan:
Arbeiten kann der Fotograf, der sein Metier in Zürich studierte, überall. Er geniesst weltweite Anerkennung. Früher nahm er Titelbilder für renommierte Zeitschriften und Zeitungen wie Time Magazine, GEO, Stern, Newsweek oder Paris Match auf. Dann brach der Print-Markt ein. «Die Honorare sind ins Bodenlose gesunken. Ich wollte weg aus diesem unlukrativen Business», meint Seibert. Der Übergang von der Presse- zur Kunstfotografie verlief fliessend. Dank seinem überragendem Können lebt er seit einigen Jahren vom Verkauf seiner Bilder, ausgewählten Aufträgen sowie Ausstellungen in renommierten Galerien und Kunsthäusern.
Sein erster Fotobildband führte Seibert nach China. Ein Jahrzehnt lang porträtierte er chinesische Wanderarbeiter, deren Leben von Armut und Heimatlosigkeit geprägt ist; Menschen, die von Fabrik zu Fabrik und von Baustelle zu Baustelle unterwegs sind. «Von irgendwo nach nirgendwo» beschrieb einer der porträtierten Wanderarbeiter seinen entbehrungsreichen Weg. Er lieferte damit den Titel für den Bildband (in Englisch «From Somewhere to Nowhere. Chinas’s Internal Migrants»), der 2009 auf der Shortlist der Kraszna-Krausz Book Awards in London war und als eines der einflussreichsten Schweizer Fotobücher seit 1927 gilt.
Im zweiten Bildband «The Colors of Growth. China’s Huai River» geht es um die Frage, welchen Preis eine Gesellschaft für Wirtschaftswachstum zu zahlen bereit ist. Und wie sich einer der wichtigsten Flüsse des Landes für die Menschen vom lebensspendenden Element mehr und mehr zur giftigen Kloake verwandelt. Die Fotos sind eindringlich, direkt und manchmal von geradezu bizarrer Schönheit. Sie lösen ambivalente Gefühle aus und berühren. Eine Poesie der Zerstörung.
Das Konfliktpotenzial, das mit dem weltweiten Rohstoffhunger einhergeht, beschäftigt Seibert und wird Thema seiner nächsten grossen Fotoarbeit sein. «Unser Wirtschaftssystem basiert auf endlichen Rohstoffen. Obwohl wir es wissen und damit auch verstehen, dass dieses System nicht nachhaltig ist und demnach dringend einer Kursänderung bedarf, ist sie nicht zu erkennen.» Zurzeit präsentiert er im «BelleVue – Ort für Fotografie» in Basel seine Einzelausstellung «Erd_reich» mit weiteren eindrücklichen Impressionen über das aufstrebende China. Im Kontrast dazu stehen Aufnahmen von Steinbrüchen in der Schweiz, die wie abstrakte Gemälde wirken.
Vor knapp zwei Wochen wurde Andreas Seibert von der UBS-Kulturstiftung für sein Werk mit einem Preis von 10 000 Franken ausgezeichnet. 2013 erhielt er den Hans-Erni-Preis für seine Fotokunst, die immer wieder Fragen nach Nutzen und Kosten einer globalisierten Wirtschaft stellt. Still, ohne jegliche Schuldzuweisung. Denn diese Bilder bedürfen keiner Worte.