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Der Brugger Bijoutier Georges Boutellier erklärt im Gespräch mit der «Aargauer Zeitung», warum ihm die jährliche Auszeit bei den Mönchen in Disentis so viel bedeutet.
Mit der grossen Tanne ist der Neumarktplatz in Brugg bereits wieder weihnachtlich geschmückt und in den Läden laufen die letzten Vorbereitungen für das oft hektische Weihnachtsgeschäft. Wie er sich gut auf diese intensive Zeit vorbereiten kann, hat Georges Boutellier, Inhaber des gleichnamigen Uhren- und Schmuckgeschäfts im Neumarkt 2, im Laufe seines Lebens gelernt. Er gönnt sich jedes Jahr eine Woche «Kloster auf Zeit».
Vor zwei Wochen war es wieder so weit: Der 74-Jährige reiste zusammen mit seinem vier Jahre älteren Bruder ins Kloster Disentis. Für Georges war es die 20. Klosterwoche, für Edi die fünfte. Aufmerksam auf das Benediktinerkloster im Bündnerland wurde Georges Boutellier durch Onkel Turi, der nach der Schule während eines Jahres im Kloster Disentis als Volontär tätig war.
Später wurde Turi Coiffeur mit einem eigenen Geschäft in Birmenstorf. Weil er die Klosterzeit in guter Erinnerung hatte, fuhr er jeweils einmal im Monat – an seinem freien Montag – nach Disentis, um den Mönchen die Haare zu schneiden.
Als Onkel Turi dann im fortgeschrittenen Alter seinen Coiffeur-Salon aufgab, wollte er den Coiffeur-Stuhl unbedingt dem Kloster vermachen. Georges Boutelliers Frau hatte ein genug grosses Auto, um das Geschenk nach Disentis zu transportieren. Für den Bijoutier war dieser Ausflug eine neue und interessante Begegnung mit der Klosterwelt. Später begleitete er Onkel Turi für Ferien nach Disentis und entdeckte dort seine Freude an der gregorianischen Musik.
Wenn er jetzt jeweils mit seinem Bruder eine Woche im Kloster verbringt, seien beide völlig individuell unterwegs, betont Georges Boutellier. Mit anderen Worten: Jeder hat sein Zimmer im Gästebereich und entscheidet selbst, ob er am Klosterleben teilnehmen will oder nicht.
Um sich von der Aussenwelt abzuschirmen, schaltet der Brugger sein Handy aus und verzichtet auf Zeitungslektüre. «In Disentis weckt mich meine innere Uhr jeweils um 4.45 Uhr», erzählt Boutellier und lacht. Denn das passiere ihm zu Hause nicht.
Dick eingepackt in eine Daunenjacke und ein Halstuch tragend, steht er um 5.30 Uhr für die erste Gebetszeit Vigil und Laudes in der noch stockdunklen und eiskalten Klosterkirche. Es sei eine mystische Erfahrung, wenn die 23 Mönche auf der Empore dazustossen und er den Psalmen und Gebeten lauschen kann. «Für mich ist das Meditation», fährt Boutellier fort.
Anschliessend nehmen die Gäste und die Klostergemeinschaft an zwei langen Holztischen schweigend das Frühstück ein. Kaffee und Milch gibts im Chacheli und das feine Brot kommt aus der Klosterbäckerei. Zurück im Zimmer beobachtet Boutellier durch das Fenster, wie der Tag erwacht. «Wir leben in einer so hektischen Zeit, dass man alltägliche Ereignisse viel zu selten bewusst wahrnimmt», sagt der Geschäftsinhaber. Zu seinem Tagesablauf gehört ausserdem, dass er um 7.30 Uhr an der Eucharistiefeier teilnimmt.
Am Vormittag nutzt er die freie Zeit, um beispielsweise Bücher über Achtsamkeit zu lesen. Manchmal setzt sich Boutellier auch an den Tisch und schreibt Personen, die ihm viel bedeuten, längere Briefe. Er macht sich intensive Gedanken über sein Umfeld und das Leben. «Dabei erfahre ich eine grosse Dankbarkeit, die ich gerne mit anderen teile», betont der 74-Jährige.
Vor dem Mittagessen im sogenannten Refektorium versammelt sich die Klostergemeinschaft zum Singen. Während dem Essen wird erneut nicht gesprochen. Stattdessen liest ein Mönch über Mikrofon aus einem Buch vor – beispielsweise über die Funktionsweise des Gehirns.
Boutellier begrüsst, dass dem Kloster Disentis noch eine Mittelschule angeschlossen ist. Das trage dazu bei, dass die Mönche nicht weltfremd sind. Zu interessanten Gesprächen mit anderen Gästen oder Mitgliedern der Klostergemeinschaft kommt es oft beim Kaffee am Nachmittag. Es gebe beispielsweise einen Mönch, der vor dem Klostereintritt in einer grossen Werbeagentur in New York gearbeitet hat und jetzt an der Mittelschule lehrt.
Wie wichtig der Tagesrhythmus mit einer gesunden Balance zwischen Ruhe und Arbeit ist, hat Georges Boutellier in seinen Klosterwochen schätzen gelernt. Mit seinem Bruder Edi unternimmt er am Nachmittag immer eine Wanderung. Für die Vesper um 18 Uhr ist er wieder zurück.
Mit der Komplet – der letzten gemeinsamen Gebetszeit – wird der Tag um 20 Uhr in der Marienkapelle friedlich abgeschlossen. «Ich brauche dieses spirituelle Auftanken vor dem Weihnachtsgeschäft und das Nachdenken über die echten Werte des Lebens einfach», stellt Boutellier fest.