Die Linner Linde soll stabiler und deshalb kleiner werden. In einer ersten Etappe haben sie die Baumpfleger am Mittwochmorgen um zwei Meter gestutzt. Keine leichte Aufgabe für die beiden Männer, die mit dem Baum so einiges verbindet.
Andreas Birkner hatte einer schlaflose Nacht. Seit über 25 Jahren kümmert sich der Baumpflegespezialist der Tilia AG aus Frick um die Linner Linde. Und jetzt sollte ihre Krone um mehrere Meter gestutzt werden. Der rund 800 Jahre alte Baum auf dem Bözberg ist nicht nur das Wahrzeichen des Ortes Linn, sondern eine Aargauer Sehenswürdigkeit.
Und so ist es sein Kollege Dominik Hossli, der an diesem Mittwochmorgen kurz nach Sonnenaufgang auf die Hebebühne steigt, um weit oben im Baum die Äste abzusägen. Kranführer Sven Saxer steht mit ihm auf der Hebebühne und manövriert diese in der schwindelerregenden Höhe durch die Baumkrone.
Einen Ast nach den anderen sägt Hossli ab. Entdeckt er an einem Pilzbefall, desinfiziert er die Säge, bevor er weiter arbeitet. Andreas Birkner hält am Boden die Stellung, liest die Äste zusammen, die zu Boden regnen, blickt immer wieder nach oben. Selbst zur Säge zu greifen, das hätte er nicht übers Herz gebracht.
Was an diesem Mittwoch am Boden landet, sind im Vergleich mit dem riesigen Baum ein paar Ästchen. Doch dieser Baumschnitt ist weit bedeutender, als es den Anschein macht. Es sind stellenweise 30 Jahre Baum, die an diesem Mittwoch abgesägt werden - so lange brauchte die Linde, um zwei Meter zu wachsen. Vor rund 30 Jahren war es auch das letzte Mal der Fall, dass die Baumpfleger gesunde Äste schnitten.
Die Linner Linde wächst langsam. Das hat mit ihrem exponierten Standort zu tun. Vor allem windig ist es hier, auch an diesem Morgen geht einem die Bise durch Mark und Bein. Das ist auch der Grund für den Baumschnitt. Der Baum soll kleiner werden, vor allem talseitig. Je weniger Angriffsfläche die Krone bietet, desto stabiler ist er.
Auf der Seite der Strasse ist die Linde deutlich niedriger. Hier mussten die Baumpfleger in den vergangenen Jahren immer wieder abgestorbene Äste entfernen, beim dicksten hat Dominik Hossli die Jahresringe gezählt: 120 waren waren es.
«In den nächsten zehn bis 15 Jahren soll der Baum noch einmal um drei bis vier Meter tiefer werden. Mit der Idee, dass sich von unten her eine neue, starke Krone bildet.»
Kunststoffseile halten die Äste der Linner Linde schon seit langem zusammen. Ihr Stamm ist hohl, ein Pilz macht ihr zu schaffen, in den vergangenen, ausserordentlich trockenen Sommern umso mehr. Der Baum ist alt, laut den Spezialisten aber nicht unbedingt ein Senior. «Eine Linde kann auch doppelt so alt werden, wenn sie gesund ist», sagt Hossli.
Dominik Hossli und Andreas Birkner verbindet viel mit der Linner Linde. Beide sind sie in der Nähe aufgewachsen und haben schon als Schüler zahlreiche Ausflüge zu ihrem Stamm gemacht. Birkner wünscht sich, dass die Besucher «achtsamer» umgehen mit der Linde.
Es habe sich ein regelrechter «Baumtourismus» etabliert, an den Wochenenden würden die Autos bis unter den Baum parkiert, Spuren an der Rinde würden von Kletterpartien zeugen, aus dem hohlen Stamm fischt Birkner Abfall ‒ sogar eine noch volle Dose Bier. Ginge es nach ihm, würde er den Stamm der Linde grosszügiger absperren, um auch ihre Wurzeln schützen zu können.
Die Bözberger Frau Gemeindeammann Therese Brändli kommt vorbei, um die Baumpflegearbeiten zu begutachten. Sie hält nichts von einer solchen Absperrung:
«Die Leute sollen zum Baum gehen können.»
Die Parkplatzsituation habe man mittlerweile entschärfen können, «begrüssenswert» fände sie es aber dennoch, es würden mehr Besucher mit dem Postauto anreisen, das gleich neben der Linde hält.
Nach vier Stunden ist es vorbei. Dominik Hossli klettert aus der Hebebühne, am Boden liegt ein Haufen Äste. Ganz so leicht war diese Arbeit auch für ihn nicht:
«In einen alten Baum zu schneiden, ist immer schwierig.»
Dennoch ist er zufrieden mit der Arbeit. Mit dem nächsten Schnitt rechnet er in zwei Jahren.
Im September werden die Baumpfleger wieder kommen, um zu prüfen, wie der Baum auf den Schnitt reagiert. Und um wie jedes Jahr die durch den Pilz abgestorbenen Äste zu entfernen. Aber so lange werden wohl weder Hossli noch Birkner «ihren» Baum aus den Augen lassen.