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Ein Jahr konnte Barbara Iten, Schulleiterin Schulhaus Stapfer, im neuen Büro verbringen – jetzt wird sie pensioniert.
Es ist kurz vor Schulbeginn am Nachmittag. Die Kinder stapfen mit ihren Schulsäcken am Rücken die Treppe hoch, ziehen die schwere Tür zum Primarschulhaus Stapfer auf und verschwinden in ihre Klassenzimmer. Jedes Kind, das hier zur Schule geht, ist stolz darauf, in diesem altehrwürdigen Bau lernen zu dürfen. Das Schulhaus Stapfer ist erlebbare Geschichte, ein kleiner Palast.
Als das schönste Schulhaus der Schweiz bezeichnet auch Schulleiterin Barbara Iten das Stapfer. Fürs Foto steigt sie gerne in den Turm des Schulhauses hoch, schwärmt vom Ausblick auf den Bruggerberg und die Stadt, die ihr so viel bedeutet. Die letzten Wochen in ihrem Berufsleben sind angebrochen, per Ende Schuljahr geht sie in Pension.
1990 hat ihre Karriere an der Schule Brugg begonnen. Damals unterrichtete Barbara Iten, die im April 64 Jahre alt geworden ist, jeweils zwei Nachmittage pro Woche. Acht Jahre später tritt sie ihre Stelle als Rektorin des Schulhauses Stapfer an. 2004, mit der Neuorganisation, wird sie Schulhausleiterin, die Funktion wird später unbenannt zu Schulleiterin. «Schliesslich leiten wir eine Schule und nicht ein Schulhaus», sagt Barbara Iten. Zu Beginn war es noch ein 3er-Team, das gut zusammen harmonierte, später wird sie alleinige Schulleiterin. Das liegt ihr. Dinge zu organisieren, das macht Barbara Iten gerne und mit viel Leidenschaft und Engagement. Daneben hat sie pro Woche weiterhin vier bis sechs Stunden unterrichtet. Das ist ihr wichtig, um die Alltagsprobleme der Lehrpersonen zu verstehen.
Lehrerin geworden ist Barbara Iten, «weil ich Menschen und Kinder gerne habe». Der Job gebe ihr sehr viel zurück. «Eigentlich ist mein Beruf mein Hobby», sagt sie am grossen schwarzen Tisch in einem Nebenraum ihres Büros im Schulhaus Stapfer. Es habe ihr stets Freude bereitet, Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, dafür zu sorgen, dass sie ihren Weg gehen können. Ihre erste Stelle trat Barbara Iten, die in Würenlingen aufgewachsen ist, in Klingnau an, wechselte später nach Brugg.
In den letzten Jahren hat sich der Lehrerberuf enorm verändert. Die Digitalisierung hat Einzug gehalten im Klassenzimmer. Das Konzept der integrativen Schule wurde eingeführt, der Unterricht individualisiert. Dadurch besuchen mehr Kinder mit herausforderndem Verhalten die Volksschule. Das wiederum erfordert zusätzlich Assistenz- und Fachlehrpersonen im Klassenzimmer. «Früher, als ich als 20-Jährige angefangen habe, stand ich die ganze Woche alleine im Zimmer. Heute ist es viel unruhiger», sagt Barbara Iten. Das Unterrichten sei komplexer als früher.
Eine gewisse Anzahl schwieriger Kinder könne eine Klasse ertragen, «es kann aber auch schnell kippen, das war mit diesem neuen System vorprogrammiert», macht Iten deutlich und ergänzt: «Es wundert mich nicht, dass so viele Lehrpersonen an einem Burnout erkranken.» Als Schulleiterin sei es ihr wichtig, den Lehrpersonen Sorge zu tragen, auf sie einzugehen, sie zu unterstützen, wenn es gerade schwierig ist. Dabei habe sie im Schulhaus Stapfer auf ein tolles Team zählen können. Jahrelang sei es kaum zu Wechsel gekommen, nun, mit ihrer Pensionierung, gehen gleich weitere zehn Angestellte im Schulhaus Stapfer. «Das ist Zufall», sagt Barbara Iten.
Eine weitere Herausforderung für die Lehrpersonen ist auch die gesellschaftliche Veränderung. Es gibt Kinder, die in die erste Klasse kommen und bereits lesen können, wiederum andere nicht. Frontalunterricht, wie es ihn früher gegeben hat, funktioniert so nicht mehr. Die Betreuung muss individueller gestaltet sein, ist aufwendiger.
Im Alltag habe auch die Spontaneität gelitten, sagt Iten. «Wenn es am Morgen schneit, können wir den Kindern nicht mehr sagen, dass sie am Nachmittag den Schlitten mitnehmen sollen. Denn viele sind über den Mittag gar nicht mehr zu Hause.»
Mit der Migration hätten auch die verschiedenen Kulturen ins Schulhaus Einzug gehalten. Das bringe nebst einem grossen Mehrwert auch neue Herausforderungen, sagt Iten. Es sei zwingend, dass die Eltern der Kinder Deutschkurse besuchen. Nur so klappe die Integration. Die Kinder aus anderen Kulturen müssen gut integriert werden und mit ihren Eltern einen Konsens gefunden werden. «Wir haben sie auch aufgefordert, mitzumachen, indem wir sie beispielsweise an Festen eingebunden haben. Das ist uns gelungen», sagt Barbara Iten. Im Schulhaus herrsche ein wertschätzender Umgang miteinander – von den Lehrpersonen über die Kinder zu den Raumpflegerinnen, die Barbara Iten übrigens ein fernöstliches Abschiedsessen kochen werden.
Einschneidend seien auch all die Vorschriften, die zunehmend einschnüren. Spielgeräte dürfen nur noch eine gewisse Höhe haben, der Boden muss mit weichen Matten gepolstert sein. Unterhalb von Rutschbahnen darf sich nichts mehr befinden, an dem sich die Kinder verletzen können. Beispiele dafür kennt Barbara Iten genug. Vor einigen Jahren konnte das Schulhaus Stapfer einen relativ hohen Spielturm mit Rutschbahn vom Kinderheim Brugg übernehmen. Freudig kletterten die Kinder hoch, testeten ihren Mut. Ein Bürger hat das beobachtet, ist mit einem Meter nachmessen gegangen und hat eine Meldung gemacht, dass der Turm nicht den Vorschriften entspricht. Der Turm wurde in der Folge massiv gekürzt und war nur noch halb so spannend für die Kinder. «Diese Übervorsichtigkeit, ja Überängstlichkeit, ist schwierig», sagt Barbara Iten. Trotz all den Veränderungen seien die Kinder aber Kinder geblieben. Im Wesen würden sich die heutigen Kinder nicht von den früheren unterscheiden, sagt sie.
Die Einweihung des sanierten Stapferschulhauses nennt Iten als eines der Highlights – nebst dem 100-Jahr-Jubiläum oder dem Musical «Der kleine Clown», das gemeinsam mit dem Orchesterverein Brugg aufgeführt wurde und den ersten Rang beim Funkenflugwettbewerb einheimste. Das Departement Bildung, Kultur und Sport zeichnet mit dem Projekt «Kultur macht Schule» herausragende Kulturprojekte an Schulen aus.
Für Barbara Iten ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um pensioniert zu werden – noch vor der Einführung des Lehrplans 21. Ein Jahr lang konnte sie ihr neues Büro im Schulhaus Stapfer geniessen – ein umgebautes Schulzimmer. «Ich wollte unbedingt noch ein Jahr im sanierten Schulhaus erleben», sagt Barbara Iten. «Dieser Umbau hat uns über Jahre beschäftigt.»
Nicht nur als Schulleiterin hat sie sich mit der Sanierung auseinandergesetzt, sondern auch als Einwohnerrätin für die CVP. Seit 2006 sitzt sie im Stadtparlament. «Nicht etwa, weil ich eine politische Karriere machen möchte, sondern weil mir die Stadt mit ihren Menschen am Herzen liegt», sagt Barbara Iten. In eine Zwickmühle sei sie aufgrund ihrer Funktionen nie geraten.
Die letzten Wochen vor der Pensionierung kann Barbara Iten kaum geniessen. Einiges muss noch erledigt werden. Zeit für Wehmut hat sie nicht. Mit ihrem Nachfolger Beat Röthlisberger gleist sie das neue Schuljahr auf und die Vorbereitungen für den Rutenzug laufen ebenfalls. Zudem ist sie gespannt, was die Lehrpersonen und die Kinder als Abschied für sie vorbereitet haben. «Ich mag es normalerweise nicht, wenn etwas für mich organisiert wird», sagt Barbara Iten und lacht.
Abschied. Er ist irgendwie noch surreal für die langjährige Schulleiterin. «Es tut mir weh, dass ich jetzt schon so alt bin. Und dennoch freue ich mich auch auf das, was kommt.» Eines ist klar: Zu Hause herumsitzen wird die Frau, die auch aktive Fasnächtlerin ist, nicht. Sie wird sich für die «Kiste» am Stadtfest engagieren, eine Wandertour vom Simplon bis nach Domodossola machen, ihr drittes Enkelkind hüten oder hin und wieder eine Stellvertretung annehmen. Für die Menschen, die im Schulhaus Stapfer ein und aus gehen, wünscht sie sich, dass die Lehrpersonen gerne zur Arbeit kommen, sich gegenseitig unterstützen, miteinander reden und dass die Kinder Freude am Lernen haben. Als Zutaten dafür nennt Barbara Iten: Fördern, Wertschätzung, klare Führung sowie liebe- und verständnisvoll sein. «Das Schulhaus Stapfer hat einen guten Namen, das soll so bleiben.»