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Vier Jahre nach Fusion muss die Post noch viele Sendungen von Hand sortieren. Auch die Einsatzkräfte sind gefordert.
Es sei ein Gast gewesen, der im «Güggeli Sternen» in Bözberg essen gehen wollte, aber wegen des Adress-Chaos die Gaststätte nicht fand, und sich dann verärgert an die Presse wandte, sagt Wirt Thomas Schäublin zur Geschichte, die in den letzten Tagen schweizweit für Schlagzeilen sorgte. Schäublin ist grundsätzlich nach wie vor ein Befürworter der Gemeindefusion auf dem Bözberg, wünscht sich aber eine andere Adresslösung und klare Signalisation – einen Wegweiser vom Kanton.
Tatsächlich sind vier Jahre nach der Fusion von Gallenkirch, Linn, Ober- und Unterbözberg zur Gemeinde Bözberg erst zirka 60 Prozent aller Postsendungen mit der richtigen Adresse versehen. «Aktuell müssen rund 40 Prozent der Sendungen von Hand sortiert werden», sagt Post-Sprecherin Jacqueline Bühlmann. Im vom Stimmvolk im März 2012 angenommenen Fusionsvertrag stand, dass die neue Gemeinde künftig «5225 Bözberg» heisst, was für alle eine Adressänderung zur Folge hatte. Dieser Umstand führte später automatisch auch zu Mischadressen – mit Elementen der alten und neuen Adresse. Das beschäftigt die Post. «Die Schweizerische Post macht die Kunden regelmässig darauf aufmerksam, dass falsche Adressen zu Verspätungen führen können», fährt die Sprecherin fort. Besonders viele falsche Adressen gibt es laut Bühlmann in den Ortsteilen Linn und Gallenkirch.
Das ist beispielsweise bei Michel Jaussi der Fall. Der bekannte Linner Fotograf und Kritiker der neuen Adressen gibt auf seiner Website als Kontakt «Linn (Dorfstrasse) 11, 5225 Linn» an. Warum verwendet er eine Mischadresse? Das habe einen triftigen Grund, sagt Jaussi. «Vor zwei Jahren erreichte mich eine neue Präsentations-Mappe aus Hamburg nachweislich verspätet, weil der Kurier meine neue Adresse nicht finden konnte.» Die Auswirkungen waren für den Fotografen fatal: Er verlor einen seiner grössten Aufträge (ein sechsstelliger Betrag), da er angeblich die terminlichen Vorgaben für die Präsentation beim Kunden nicht erfüllen konnte. «Für mich ist die amtliche Adresse, die in Linn verfügt wurde, für eine gewerbliche Nutzung untauglich», betont Jaussi.
Mit der Mischadresse fahre er zwischenzeitlich besser, vor allem auch, weil diese mit der Strassensignalisation des Kantons korrespondiere. Für die Post sei primär eine korrekte Postleitzahl wichtig. Michel Jaussi sieht den Kern der Problematik im Löschen der vier (jahrhundertalten) «Ortschaftsnamen», die alle durch einen einzigen neuen Ortschaftsnamen ersetzt wurden. «Zwischen den ehemaligen Ortschaften liegen aber sehr grosse siedlungsfreie Zonen. Das macht die Verwirrung perfekt», sagt er. Für ihn bleibe die aktuelle Lösung daher untauglich. Etwas Positives habe die ganze Geschichte dennoch: Der Zusammenhalt in Linn sei grösser denn je und der Verein ProLinn erfreue sich grosser Sympathien auch ausserhalb von Linn.
Mehrheitlich positive Erfahrungen mit der neuen Adresse machte die Geschäftsstelle des Juraparks Aargau. Vor der Fusion lautete die Adresse: Schulstrasse 55, 5224 Linn. Seit dem Zusammenschluss: Linn 51, 5225 Bözberg. «Wir wurden von den meisten Lieferanten gefunden. Oft hilft die Info, dass wir bei der Linner Linde sind», sagt Mirjam Maurer vom Jurapark-Sekretariat. Da Linn von der Bözbergstrasse signalisiert ist, könne auch der Wegweiser angegeben werden. Im Dorf Linn selbst sei alles gut ausgeschildert. Auch die Briefe sind laut Maurer mehrheitlich richtig adressiert. «Nur etwa 2 bis 5 Sendungen pro Monat haben noch die alte Adresse.»
Auf das Adress-Thema angesprochen, sagt Bözbergs Gemeindeammann Peter Plüss: «Wir haben kein Chaos.» Er bekomme zwar zu Hause oder auf der Verwaltung manchmal auch noch Post mit einer falschen Adresse, dabei handle es sich aber meist um unerwünschte Werbesendungen. Ausserdem sind ihm keine Reklamationen vonseiten Post oder aus der Bevölkerung bei der Gemeinde bekannt. Das Problem des «Güggeli Sternen»-Wirt habe mit den nicht aktualisierten Navigationsgeräten zu tun. Plüss weiss, dass selbst in Neuwagen das Navi nicht immer auf dem aktuellen Stand ist. Bei Schwierigkeiten könnten auch das Handy, die Infotafeln oder jemand auf der Strasse weiterhelfen.
«Das Adressproblem in Bözberg ist offenbar nach wie vor nicht gelöst», sagt Heiner Hossli, Chef der Regionalpolizei Brugg. Weil dies seinen Mitarbeitenden bekannt ist, würden bei Einsätzen vor Ort im Zweifelsfalle verschiedene Navigationsservices geprüft. «Dabei ist man via Funk immer in Verbindung mit der Notrufzentrale, welche auch Unterstützung leistet, die richtige Adresse zu finden», so Hossli weiter. Ausserdem sind in den Fahrzeugen aktuelle Ortspläne vorhanden.
«Gemeindefusionen sind für Notrufzentralen generell eine Herausforderung», sagt Andrea Rüegg, Sprecherin im Kantonsspital Aarau (KSA). Bei der kantonalen Einsatzleitstelle 144 seien sowohl die neuen wie auch die alten Bezeichnungen im System hinterlegt und miteinander verknüpft. «Die Mitarbeiter werden über solchen Mutationen jeweils speziell informiert.» Die Einsatzkräfte hatten im letzten Jahr auf dem Bözberg laut Rüegg nie Probleme, die richtige Adresse zu finden.
War es nicht ein Fehler, die vier Gemeinden zu fusionieren und sämtliche Adressen zu ändern? «Nein», sagt Ammann Peter Plüss. «Die Fusion hat sich gelohnt. Schulen und Verwaltungen und alle Dienstleistungen konnten zusammengelegt werden. Es braucht weniger Behördenmitglieder.» Auch vom neuen Finanzausgleich könnte Bözberg profitieren. Hätten die vier Gemeinden nicht fusioniert, fielen für die kleinen Gemeinden deutlich höhere finanzielle Lasten an. Mit den neuen Adressen habe man überall fortlaufende Hausnummern einführen und doppelte Strassennamen eliminieren können.