Brugg
Noch-Grossrat Franz Hollinger: Sein trockener Humor wird fehlen

Er bezeichnete Kantonalpolitik als todlangweilig – trotzdem gehörte Franz Hollinger 12 Jahre dem Grossen Rat an.

Janine Müller
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Er könne gut loslassen, sagt Franz Hollinger. Er freut sich auf die neu gewonnene Freizeit. Chris Iseli

Er könne gut loslassen, sagt Franz Hollinger. Er freut sich auf die neu gewonnene Freizeit. Chris Iseli

Chris Iseli

Es ist der 23. Oktober 2016. Im Restaurant Vindonissa in Windisch trifft sich die CVP Bezirkspartei. Es ist ein denkwürdiger Tag. Denn statt dem Namen Franz Hollinger leuchtet auf dem Handydisplay der Name Jürg Baur grün auf. «Abgewählt» steht da rot hinter Franz Hollingers Name. Er wird künftig nicht mehr im Grossen Rat politisieren.

Parteiintern gibt es einige ungläubige Blicke. Franz Hollinger aber nimmt es gelassen, stosst freudig mit Jürg Baur an. Er ist froh, dass es so herausgekommen ist. So richtig glauben mag man ihm das in der Öffentlichkeit an diesem Tag nicht.

Szenenwechsel. 8. Dezember 2016. Wir treffen Rechtsanwalt Franz Hollinger in seiner Kanzlei an der Stapferstrasse in Brugg. Von der Assistentin werden wir in das Besprechungszimmer geführt. An den Wänden stehen Regale gefüllt mit Gesetzesbüchern. In einer Reihe stehen da die Ausgaben von «Die Praxis des Bundesgerichts», säuberlich nach Jahrgang geordnet: 1984 bis 2005. An der Tür klebt ein Schild, das unmissverständlich zeigt, dass Handys in diesem Raum verboten sind. Dann tritt Franz Hollinger in den Raum, begrüsst uns fröhlich.

Das Fotografieren behagt ihm nicht, er will es rasch hinter sich bringen. Viel lieber spricht er über die letzten zwölf Jahre als Grossrat. Darunter vier als Präsident der CVP Aargau. Emotional wird Franz Hollinger nicht, wenn er an den Abschied aus dem Grossen Rat denkt. Höchstens wehmütig.

«Nach zwölf Jahren geht man nicht ohne weiteres», sagt er. Er werde den Parlamentsbetrieb durchaus vermissen. Vor allem die Fraktionssitzungen. «Die Diskussionen waren interessant und vielfältig», sagt er. «Hier kann man sich einbringen und zu allen Themen äussern.» Das sagt einer, der vor vielen Jahren mal meinte: «Die kantonale Politik ist todlangweilig.» Darauf angesprochen lächelt Franz Hollinger verschmitzt. «Das würde ich so heute nicht mehr sagen.» Er ergänzt: «Damals konnte ich mir nicht vorstellen, in der kantonalen Politik tätig zu sein. Ich war dann positiv überrascht, wie viel man bewegen kann.»

Zurückhaltend, aber wirkungsvoll

Etwas bewegen. Das war ihm wichtig. In den 12 Jahren reichte Hollinger 10 Vorstösse ein. Im Vergleich zu anderen sind das nicht wahnsinnig viele. Dafür hatten sie Substanz. Hollinger steht auf und holt in seinem Büro den Ausdruck von den drei Motionen, die vom Regierungsrat umgesetzt wurden. Die eine reichte er im März 2009 ein, nach dem Mord an Au-pair Lucy. Er erwirkte mit der Motion, die damals als dringlich eingestuft wurde, eine Schliessung der Sicherheitslücke, die durch das neue Strafrecht entstanden war. Eine weitere Motion betraf die Integration der Bewährungshilfe (die damals noch ein Verein war) in den kantonalen Straf- und Massnahmenvollzug.

Die dritte Motion von Franz Hollinger, die erfolgreich war, forderte eine klare Regelung bei der Kürzung und Einstellung von Sozialhilfeleistungen. Auf diese Arbeit ist Franz Hollinger sichtlich stolz. «Ich war zurückhaltend mit Vorstössen», sagt er. «Dafür habe ich wirksame Motionen eingereicht, wenn ich die absolute Notwendigkeit erkannt habe.» Andere Anliegen habe er gerne auch in Gesprächen deponiert oder geklärt.

Franz Hollinger ist bei den Ratskollegen bekannt für seine Sachlichkeit und seine analytischen Fähigkeiten – und dafür, dass er es ziemlich genau nahm. «Franz ist und bleibt ein Jurist, der es manchmal einfach zu genau haben will», sagt beispielsweise Theo Voegtli, der als CVP-Grossrat zurücktritt. «Er verliert in der Sache lieber, als dass er einen politischen Murks macht.» Franz Hollinger sei ein guter Kumpel und «ein ehrliches Haus». Voegtli erwähnt eine Anekdote: «Er war der Einzige, der resistent war gegenüber den bezahlten Lobbyanlässen ‹weiss Gott von wem› und in der Mittagspause zum selbst zu zahlenden Essen mitkam, und sich nicht für ein paar Essensfranken besäuseln liess.»

SP-Fraktionspräsident Dieter Egli verbindet ein ganz spezielles Ereignis mit Franz Hollinger: «Er ist dafür verantwortlich, dass ich schon zweimal am Brugger Rutenzug mitmarschiert bin – etwas, das ich mich als Windischer ursprünglich nicht so recht getraut habe. Als er das herausgefunden hatte, bestand er darauf, dass ich mitmache – und er besorgte mir auch noch die obligate Nelke. Dass ich beim ersten Mal zugesagt und dann kurzfristig doch noch einen Rückzieher machte, hat er mir etwas übel genommen.»

Die Ratskollegen sind sich einig: Franz Hollinger habe sich stets für die Sache eingesetzt. Egli führt aus: «Wenn er redete, war er – obwohl auch Parteipräsident – nicht in erster Linie Parteivertreter. Seine Äusserungen waren immer sehr weitsichtig und sachlich.» Die politische Arbeit von Franz Hollinger im Grossen Rat bleibe in Erinnerung, «weil er immer sehr engagierte, persönliche Voten hielt, denen man zuhörte», führt Egli aus. «Er war eines der Grossratsmitglieder, bei denen es hörbar ruhiger wurde, wenn er ans Rednerpult trat.»

Geradlinig und verlässlich

Franz Hollinger ist bei den Ratskollegen auch bekannt für seinen – bisweilen trockenen – Humor. Seine Sitznachbarin im Grossen Rat, Regula Bachmann-Steiner, sagt: «Er ist ein Politiker, der seinen Humor nicht so leicht verliert.» Und Egli sagt: «Eine seiner Stärken ist sein Humor. Er nimmt nicht alles tierisch ernst.»

Auch Andreas Glarner, SVP-Nationalrat und während Hollingers Grossrats-Zeit SVP-Fraktionssprecher, sagt: «Franz Hollinger war dossierfest, war geradlinig und verlässlich und auch immer zu einem Scherz aufgelegt.» Diese Aussagen belegen, dass der 63-jährige Rechtsanwalt stets lustvoll politisiert hat, wie er selber sagt. «Ich war nie der verbissene Politiker», führt Hollinger aus. «Politik sollte Spass machen.»

Das bedeutet aber nicht, dass Hollinger nicht ernsthaft politisieren konnte. So erinnert sich Andreas Glarner an die Abwahl eines Oberrichters. Als «erbitterter Gegner» sei Franz Hollinger, der auch als Präsident der Justizkommission fungierte, damals aufgetreten. Glarner kritisiert zudem, dass «die Verbandelung mit der Justiz als Anwalt nicht immer einfach war, vor allem in seiner Rolle als Präsident der Justizkommission».

Politische Karriere

11. November 1973: Franz Hollinger wird für die CVP in den Einwohnerrat Brugg gewählt. Während 16 Jahren sitzt er in der Finanzkommission, davon 10 Jahre als Präsident. 2002/2003 präsidierte er den Einwohnerrat.

10. Mai 2005: Franz Hollinger wird Grossrat. 2013 übernimmt er das Präsidium der Justizkommission.

Mai 2008: Der Rechtsanwalt wird Präsident der CVP Aargau. 2011 fährt die Kantonalpartei bei den Nationalratswahlen eine Schlappe ein, verlor 2 der 3 Sitze. Daraufhin gibt Hollinger seinen Rücktritt bekannt. Er übernimmt die Verantwortung für das Debakel. Während seiner Amtszeit sorgt er für Aufsehen mit der Idee, die CVP solle mit der BDP Fusionsgespräche aufnehmen.

Dezember 2012: Franz Hollinger tritt als Einwohnerrat in Brugg zurück.

23. Oktober 2016: Der CVP-Grossrat wird abgewählt. (jam)

Auch Sitznachbarin Regula Bachmann-Steiner weiss von harten Diskussionen zu berichten: «Bezüglich Umfahrung Brugg gingen unsere Ansichten auseinander.» Er habe ihre Meinung, die Strasse bringe keinen Nutzen, sondern verursache nur Schaden, nicht teilen können. «Als ich einen Leserbrief zur Umfahrung Brugg mit Grossrätin CVP unterschrieb, wurde ich von Franz gerügt, weil ich damit, seiner Meinung nach, bei den Bruggern Verwirrung stiftete.»

Heute wird Franz Hollinger ein letztes Mal im Grossen Rat sitzen. Auch Wochen nach seiner Abwahl meint er, dass er froh darüber sei, dass er dieses Amt nun abgeben kann. «Es entsprach meinem Plan, aufzuhören», sagt er.

Eigentlich wollte er gar nicht mehr zu den Wahlen antreten. Doch weil bereits drei andere bisherige CVP-Grossräte im Vorfeld ebenfalls ihre Demission bekannt gaben, bat die Parteileitung Hollinger, noch einmal zu kandidieren. Quasi als Zugpferd für die CVP.

So konnte die Mittepartei immerhin im Bezirk Brugg ihren Sitz halten. Dass es Jürg Baur ist, der seinen Sitz erbt, freut Hollinger. «Wir kennen uns schon ewig, beispielsweise von der Jungwacht her», erzählt er. «Er war Leiter in Windisch, ich in Brugg.» Auch politisch verbindet die beiden vieles.

Hollinger war es, der Baur für den Einwohnerrat anfragte, Hollinger war es auch, der Baur zur Kandidatur für den Grossen Rat ermunterte. «Es ist gut, dass er nun die ganze Legislatur hat, um in den Parlamentsbetrieb rein zu kommen», sagt Hollinger. Das diene auch der Partei.

Das Amt hat an ihm genagt

Kantonal steckt Franz Hollinger in der Politik nun zurück. In der CVP-Ortspartei in Brugg wird er sich weiter engagieren, sich aber auch da Schritt für Schritt zurückziehen. «Es genügt langsam», meint Hollinger. Die Zeit im Grossen Rat, vor allem auch jene als Parteipräsident, habe an ihm genagt.

Die Sitzverluste damals 2011 bei den Nationalratswahlen seien zudem sehr schmerzhaft gewesen. Dazu sei die extreme zeitliche Belastung gekommen. «Es gab vielfach Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte, dass ich immer fünf Minuten hintendrein bin.» Kürzlich habe er vom Fraktionspräsidenten die Einladung für die erste Fraktionssitzung im neuen Jahr erhalten, die auch noch an die abtretenden Grossräte ging. «Ich schaute sie an und stellte dann erleichtert fest, dass ich ja gar nicht mehr gehen muss», sagt Franz Hollinger und lächelt verschmitzt. «Ich hätte mich doch sehr in den Allerwertesten klemmen müssen.»

Statt zu politisieren, wird Franz Hollinger künftig mehr in den Sporthallen anzutreffen sein. Es freut ihn, dass er wieder mehr Zeit für sein Amt als Präsident des Handballclubs Brugg haben wird. «In den letzten Jahren hätte ich gerne mehr Spiele besucht», sagt er bedauernd. «Aber ich musste überall Abstriche machen.» Kurz: Er freut sich auf die neu gewonnene Freizeit und auf alles, was in den letzten Jahren zu kurz kam.