Brugg
Lebensmittel-Literatur: Ohne sie funktioniert das Leben nicht

Viel Publikum bei den 30. Literaturtagen, die gestern im Salzhaus zu Ende gingen. Im Zentrum stand am Sonntags-Matinee: Kann man Schreiben lernen? Die Antwort: Ja, aber....

Elisabeth Feller (Text) und André Albrecht (Fotos)
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Thomas Meyer freut sich, dass er einen Workshop an der Kantonsschule Baden durchführen konnte
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Werner Bänziger moderiert den letzten Anlass im Rahmen der Brugger Literaturtage
Eine Kantiklasse aus Wettingen liest eigene Geschichten im Salzhaus vor
Autorinnen und Autoren diskutieren im Salzhaus Brugg, ob literarisches Schreiben lernbar ist
Mirko Bonné, rechts, hat im Alter von 5 Jahren mit Schreiben begonnen
Brugger Literaturtage
Die Autorin Eleonore Frey (links) hört ihrer Kollegin Katja Petrowskaja zu.

Thomas Meyer freut sich, dass er einen Workshop an der Kantonsschule Baden durchführen konnte

André Albrecht

«Ist literarisches Schreiben lernbar?» Diese Frage steht im Zentrum der Sonntags-Matinee zum Abschluss der 30. Brugger Literaturtage.

Diese Kulturperle schmückt Brugg – Kommentar von Elisabeth Feller

Die 30. Brugger Literaturtage sind Geschichte. Traditionsgemäss gingen sie mit einer Matinee zu Ende, die zeigte: Literatur interessiert – allen Unkenrufen zum Trotz, die das Bild einer lesefaulen Gesellschaft beschwören. Zehn Autorinnen und Autoren haben die Stadt Brugg von Freitag bis Sonntag zum Literaturmekka gemacht. So unterschiedlich die Eingeladenen auch sind, eines verbindet sie: Sie schreiben gute Bücher. Diese will das Publikum nicht nur zu Hause lesen, sondern auch hören und über sie diskutieren.

Dafür sind die Brugger Literaturtage eine ideale Plattform. Dahinter steht eine Kommission, die weiss: Nur mit Begeisterung ist es nicht getan. Erst die intensive Auseinandersetzung jedes Mitglieds mit Literatur bewirkt beim Publikum Vertrauen, was sich in einem bemerkenswerten Zuspruch niederschlägt.

Die Literaturtage sind eine Kulturperle und schmücken Brugg. Damit sie ihren Glanz beibehalten, brauchen sie weiterhin ideelle und finanzielle Unterstützung der Stadt. Nur so können die Literaturtage neue Leser gewinnen, die in Brugg entdecken, was ein Autor so auf den Punkt gebracht hat: «Literatur ist ein Lebensmittel.» Unverzichtbar.

elisabeth.feller@azmedien.ch

Am vergangenen Freitag und Samstag haben zehn Autorinnen und Autoren im Salzhaus, Odeon und Rathaussaal vor dicht besetzten Reihen aus ihren Werken gelesen. Manche Zuhörer haben sich dabei gefragt: Muss man ein Genie sein, um schreiben zu können?

«Ein gewisses Talent braucht es», sagt Werner Bänziger, Vorsitzender der Literaturkommission, eingangs der Matinée und erzählt kurz vom Workshop, den Marion Poschmann mit seinen Wettinger Kantischülerinnen und -schülern durchgeführt hat.

Sie sind überall im Salzhaus platziert. Sogleich kommts knüppeldick: Die Schüler lesen erste Romansätze, die sie als schlecht empfinden; danach gute und schliesslich kleine Geschichten, die sie selbst verfasst haben und die alle mit dem berühmten Satz beginnen: «Es war einmal.»

Sie begannen früh mit Schreiben

Für die Miniperformance gibt es starken Applaus, dann lässt Werner Bänziger die Autoren erzählen. Wann begannen sie mit dem Schreiben?

«Früh», sagen die meisten. Mirko Bonné mit neun. Als er 15 ist, lernt er einen Kollegen kennen, der ebenfalls schreibt: «Wir beide waren ein literarisches Bollwerk gegen die Welt.»

«Ich wollte Schriftsteller werden, bevor ich wusste, was das eigentlich ist», merkt Alain Claude Sulzer an und bekennt: «Der Weg war dann extrem lang.»

Thomas Meyer hat sich Lesen und Schreiben sehr früh beigebracht und dabei gemerkt: «Ich kann damit ja etwas erreichen.»

In Katja Petrowskajas Familie war «Literatur tägliches Brot». Literatur sei das Einzige gewesen, das in Sowjetzeiten gezählt habe, sagt die in Kiew geborene Autorin, die mit einer Prise sympathischer Schüchternheit anmerkt: «Ich habe doch erst ein Buch geschrieben; da fühle ich mich noch gar nicht als Autorin.»

«Jetzt können Sie petzen»

Auch für die Bündnerin Leta Semadeni ist Literatur selbstverständlich. Ihr Vater war Schriftsteller, sie selbst konnte indessen «erst nach 60 mit Schreiben beginnen, denn ich habe stets unterrichtet. Dabei fehlte mir ein Raum, wie ihn Dorothee Elmiger soeben beschrieben hat». Semadeni spielt auf ihre junge Kollegin an, die 2006 am neu eröffneten Schweizerischen Literaturinstitut in Biel studiert hat. «Für mich war es damals wichtig, einen Raum zu finden, um dort auch Fragen stellen zu können», sagt Elmiger.

Literatur-Dozent Francesco Micieli betont: «Wir sind keine Schule, die einen Meister hat, dem alle nachfolgen. Wichtig ist für uns das Zusammentreffen verschiedener Menschen, die schreiben.»

Das Wort «Lebensmittel-Literatur» hört das Publikum vom ETH-Forscher und Lyriker Thilo Krause, der die Zuhörer ironisch auffordert: «Jetzt können Sie bei der ETH petzen. Ich kann ohne Wissenschaft leben, aber nicht ohne Literatur.» Applaus. Doch auch damit ist die Frage nicht beantwortet: «Ist literarisches Schreiben lernbar?» Ja, aber es braucht mehr. Was, lässt die Runde bewusst offen. Für Christoph Poschenrieder jedenfalls «ist Schreiben ein Höllenspass».

Ist Schreiben in erster Linie eine Frage des Talents?

Ihre Literatur ist ein Spiegelbild des Lebens», sagte Daniel Moser. Der Brugger Stadtammann spielte in seiner Begrüssung auf jene zehn Autorinnen und Autoren an, die in diesem Jahr zu den 30. Brugger Literaturtagen eingeladen wurden: Mirko Bonné, Dorothee Elmiger, Eleonore Frey, Thilo Krause, Thomas Meyer, Katja Petrowskaja, Christoph Poschenrieder, Marion Poschmann, Leta Semadeni und Alain Claude Sulzer. Sie lasen nicht nur Lyrik und Prosa vor, sondern versuchten auch Antworten auf diese Fragen zugeben: Ist literarisches Schreiben lernbar? Oder ist dieses primär eine Frage des Talents? An der gestrigen Schlussveranstaltung im Salzhaus nahmen überdies Schülerinnen und Schüler der Kantonsschulen Wettingen und Baden teil. Marion Poschmanns Schreibwerkstatt in Wettingen hatte sich mit dem ersten Satz eines Buches (welcher ist gut; welcher ist schlecht?) auseinandergesetzt; Thomas Meyer hatte den Badener Schülern unter anderem diese Aufgabe aufgegeben: Beschreibt euch möglichst ironisch in 1500 Zeichen. (EF.)