Rund drei Viertel der Hinfahrt haben wir nun bereits hinter uns. Vor dem Start habe ich mir die Frage gestellt, ob einmal der Punkt kommt, an dem man nur noch ein Ziel hat: Endlich anzukommen. Soweit sind wir noch nicht.
Freitag, 18. Mai. Mit mindestens dem gleichen Enthusiasmus wie bei Tourbeginn steigen wir heute Morgen auf unsere gestern noch frisch gewaschenen und gepflegten Velos und fahren los. Gut, der stahlblaue Himmel mag auch noch das Seine zu unserer Unternehmungslust beigetragen haben. Die Fahrt von Benevento nach Avellino ist wieder eine dieser fast verkehrsfreien Traumstrassen durch ein malerisches Flusstälchen, zu derer Beschreibung mir langsam keine neuen Worte mehr einfallen wollen. Offensichtlich ist die Strecke auch bei den Einheimischen bekannt und beliebt, dann alle paar Minuten überholen oder begegnen uns einzelne Fahrer oder ganz Gruppen auf ihren Rennvelos. Mindestens ein «Ave» oder ein «Buongiorno» wird bei jeder dieser Begegnungen ausgetauscht. Tourenfahrer sind in diesem Land zwar Exoten, werden aber von den stets toll gestylten «Gümmelern» durchwegs geachtet und respektiert und oft auch bewundert.
Noch keine Anzeichen von «Nase voll»
Hat man irgendeinmal genug davon, fast jeden Tag wieder aufs Velo zu steigen und dann fast jede Nacht wieder in einem anderen Bett zu schlafen? Sehnt man sich einmal nur noch danach, endlich am Ziel in Torre Lapillo anzukommen? Bis jetzt sind noch keine Abstumpfungserscheinungen spürbar. Denn die Tage gleichen sich nur insofern, als jeder einzelne immer neue Überraschungen, Landschaften, Orte, Menschen, Eindrücke, Gerüche und Eigenheiten bereit hält.
Und der Löwenanteil der Erlebnisse ist positiv. Dieser abstumpfungshemmende Abwechslungsreichtum hat nebenbei zur Folge, dass ich mir bis jetzt noch nie einen Blog aus den Fingern saugen musste. Heute, zum Beispiel, bin ich froh, nicht noch ein paar Zeilen über unser Etappenziel schinden zu müssen. Avellino muss man nicht gesehen haben wollen.
Unsere heutige Etappe: Benevento - Avellino, 42 km, 385 Hm.