Kunzareal Windisch
In leeren Hallen innehalten und dem Zeitfluss entgehen

Die Künstlerin Silvia Hintermann hat das Kunzareal in Windisch in ihrem Buch «Fadenbruch» verewigt. Der Autor Klaus Merz unterstreicht die Stimmung der Bilder mit ausdrucksstarken Texten.

Elisabeth Feller
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Silvia Hintermann im Diesellokal im Kunzareal: Sie bereitet sich für die Vernissage ihres neuen Buchs «Fadenbruch» mit Texten von Klaus Merz vor. Elisabeth Feller

Silvia Hintermann im Diesellokal im Kunzareal: Sie bereitet sich für die Vernissage ihres neuen Buchs «Fadenbruch» mit Texten von Klaus Merz vor. Elisabeth Feller

Kann ein Faden brechen? Nein, sagt der gesunde Menschenverstand. Doch die Neugier ist geweckt: Ein Buchtitel verführt zum Nachforschen über das widersprüchlich anmutende Wort. Und siehe da. Der Begriff Fadenbruch bedeutet im Textilbereich einen Unterbruch im Spinn- oder Webprozess, der durch das Reissen des Fadens verursacht wird.

Reissen gibt das zweite Stichwort ab: Wem ist nicht schon der Geduldsfaden gerissen? Silvia Hintermann jedenfalls nicht. Nicht bei der Arbeit zu ihrem jüngsten Buch «Fadenbruch», das mittels Fotografien «malt», was vor der Haustüre der Künstlerin liegt: das Kunzareal.

Die Maschinen sind verstummt

In diesem war einst die berühmte Baumwollspinnerei beheimatet, doch der Faden ist längst gerissen, will heissen: Die Maschinen sind dort verstummt; die brachliegenden Gebäude werden zu Wohnungen und Lofts, in die neue Mieter ziehen und damit das gewachsene Quartier Unterwindisch beleben. Silvia Hintermann hatte die abgebrochenen oder leer geräumten Werkhallen auf diesem Areal immer wieder aufgesucht, «um», wie sie sagt, «innezuhalten und aus dem Zeitfluss zu treten».

Diesen Namen trägt auch der Verlag, in dem «Fadenbruch» erscheint: ein Buch mit einem meergrünen textilen Einband, der auf die Baumwollspinnerei verweist, und einem speziellen Buchzeichen. Es handelt sich nicht um das übliche, schmale Bändchen, sondern um eine Vielzahl loser, kirschroter Garnfäden; eine Petitesse, die den Charakter einer feinen, mit grösster Sorgsamkeit entstandenen Publikation noch unterstreicht.

Was genau zeigt diese denn? Räume, auf die Silvia Hintermann mit ihrer Kamera und der Autor Klaus Merz mit verknappten Texten reagiert haben. Um dokumentarische Aufnahmen handelt es sich nicht; die Künstlerin hat vielmehr versucht, dem «Fadenbruch» und damit der Vergangenheit in der Baumwollspinnerei Kunz behutsam und ohne Eile auf die Spur zu kommen.

Stillgelegtes, bröckelndes Gemäuer lässt Assoziationen zu; übergrosse Schrauben im Diesellokal schimmern durch ihren öligen Glanz in den Farben Blau, Grün, Violett. Auch sie werden nicht mehr gebraucht, aber noch immer fällt Licht auf sie und dadurch werfen sie Schatten. «Licht und Schatten haben mich schon immer interessiert», sagt die Künstlerin. Fotografie und Malerei sind zwei ihrer künstlerischen Ausdrucksmittel, um solches festzuhalten. Silvia Hintermann hat im Spinnereiareal fotografiert, vielmehr «mit Licht gemalt», wie sie betont.

Dieses fällt oft nur durch kleine Öffnungen in Räume; dadurch sind sie dunkel, wirken geheimnisvoll – so, als ob sie nur darauf warteten, neu entdeckt zu werden.

Lebensraum für viele Menschen

Zeit und Vergänglichkeit; Gewesenes und Zukünftiges sind Themen, die Silvia Hintermann fesseln und die sich wie ein roter Faden durch ihr vielfältiges künstlerisches Oeuvre schlängeln. Wie hatte die Künstlerin doch im Zusammenhang mit dem Transform-Projekt im Kunzareal gesagt: «Die abgebrochenen oder leer geräumten Werkhallen haben mich schon geschmerzt. Aber es entsteht ja Neues, nämlich Lebensraum für viele Menschen.»

An sie, aber auch an die langjährigen Bewohner des Quartiers sowie Kunstinteressierte richtet sich nun das Buch «Fadenbruch», das am Samstag im Diesellokal Unterwindisch vorgestellt wird. Für die Vernissage stellt Silvia Hintermann eigens eine kleine Ausstellung mit grösseren Fotos zusammen. Es handelt sich um die 12 Kapitelbilder, zu denen Klaus Merz den Text geschrieben hat.