Windisch
Ex-Spitzenturnerin, werdende Ärztin und Mutter: «Der Drang ist immer noch da, stets mehr zu wollen»

Ein Porträt über eine junge Frau, die sowohl im Sport als auch im Beruf viel wagt und einiges gewinnt.

Rebecca Knoth
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Stefanie Marcin
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Ausserdem wird die 28-Jährige Mutter.
Die ehemalige Kunstturnerin hat ihre Karriere im Alter von 14 Jahren beendet.
Noch heute ist sie stark geprägt von den Wettkampferfahrungen.
Die Fotos entstanden vor der Turnhalle Dohlenzelg in Brugg.

Stefanie Marcin

Mario Heller

Dass Stefanie Marcin in ihren jungen Jahren schon viel erlebt und erreicht hat, erahnt der Fremde bei einer Begegnung nicht sofort. Die 28-Jährige tritt zurückhaltend auf. Sie spricht leise und überlegt: «Ich denke immer bloss an den nächsten Schritt und die nächste Prüfung. Was in ein paar Jahren ist, überlege ich mir nicht.» Dies scheint eine gute Strategie zu sein, denn die ehemalige Spitzensportlerin meistert inzwischen bereits ihr zweites Studium und ist «zufrieden wie noch nie».

Werdende Ärztin und Mutter

Mit 14 beendete sie ihre Karriere als Kunstturnerin

Stefanie Marcin, 28, ist in Windisch aufgewachsen und wohnt noch immer dort. Als junge Turnerin schaffte sie es von der Riege Windisch bis ins Schweizerische Juniorinnenkader. Nach einem Jahr in Magglingen beendete sie mit 14 Jahren ihre Profikarriere im Sport. Sie machte die Matur an der Kantonsschule Wettingen und studierte anschliessend Ergotherapie an der ZHAW Winterthur. Heute steht die frisch Verheiratete drei Semester vor dem Staatsexamen in Humanmedizin und wenige Monate vor der Geburt ihres ersten Kindes. (rkn)

Als Kind wollte Stefanie Marcin Krankenschwester werden. Schon früh interessierte sie sich für Krankheit und Heilung und besass sogar ein eigenes Mikroskop. Ihre zweite Passion galt dem Turnen. Die junge Windischerin war begabt und wurde in immer höhere Kader berufen. Als 12-jährige trainierte sie bis zu 30 Stunden pro Woche: morgens Schule, nachmittags Training, abends Ufzgi, dann ins Bett – ein enggetaktetes Leben im Streben nach Perfektion. «Ich habe das sehr ernst genommen!»

Im Schweizerischen Juniorinnenkader angelangt, verlor die Turnerin allmählich ihre Freude am Sport. Sie trainierte damals unter dem Franzosen Eric Demay, der einige Jahre später skandalös entlassen wurde. «Ich war bereits unter den zehn Besten der Schweiz, aber hatte das Gefühl nie zu genügen», erzählt Stefanie Marcin. Nach einem Jahr in Magglingen kehrte sie in ihren angestammten Verein zurück und hörte 2004 wegen Magersucht als Einzelturnerin auf.

Fremd in der Therapeutenrolle

Dem Schulunterricht war die intelligente Frau trotz turbulenten Zeiten so gefolgt, dass sie nach der Sportkarriere mühelos die Matur schaffte. An einer Infoveranstaltung am Ende der Kanti sprach sie die Ausbildung zur Ergotherapeutin an und sie entschied sich dafür. «Während den drei Jahren bis zum Bachelor hatte ich zwar reichlich Freizeit, aber ich fühlte mich fremd in der Therapeutenrolle und unterfordert im Unterricht», resümiert Stefanie Marcin ihre Zeit an der Fachhochschule.

Ihr allerletztes ZHAW-Praktikum führte sie 2010 in das Spitalzentrum Oberwallis. Eine Oberärztin bat die angehende Ergotherapeutin eines Tages in ihr Büro und fragte sie geradeheraus: «Warum studierst du eigentlich nicht Medizin?» Darauf wusste Stefanie Marcin keine Antwort. Und ein Jahr später begleitete sie dieselbe Oberärztin in einen Berner Bücherladen, um Unterlagen für den Numerus Clausus zu kaufen. «Heute kann ich mir kein besseres Studienfach für mich vorstellen!»

Abgesehen von der Faszination für das Fach schätzt die Studentin der Uni Bern, dass sie den Medizinerberuf nie rechtfertigen muss – dies im Gegensatz zur Ergotherapie. Trotzdem bereut sie die Erstausbildung nicht, die ihr viel Patientenkontakt und ein paar Extrajahre Lebenserfahrung ermöglicht hatte. «Der Stress kann heute noch so gross sein, ich bin trotzdem zufriedener als früher», sagt Stefanie Marcin, die aktuell gerade wieder in einer mehrwöchigen Prüfungsvorbereitungsphase steckt.

So lange wollte sie nicht warten

Schon zu Beginn des Medizinstudiums war der damals 24-Jährigen klar, dass die Rollen als Ärztin und Mutter nicht einfach vereinbar sind. «Es wäre praktischer, zuerst den Facharzt zu machen und erst dann mit der Familienplanung starten», erklärt sie. Aber so lange wollte sie nicht warten. Ihr Mann und die (Schwieger-)Eltern unterstützen sie dabei, sowohl ihrem Berufs- als auch Kinderwunsch zu folgen. «So ein Schritt braucht mehr als nur Mut. Ohne gutes Umfeld geht es nicht», bemerkt Stefanie Marcin.

Das Kunstturnen steht für die Vielbeschäftigte heute nicht mehr im Zentrum. Dennoch betreut sie als J+S Leiterin eine Nachwuchsgruppe beim TV Lenzburg und will nach der Schwangerschaft in einer Oldie-Gruppe selbst wieder Flickflack & Co. üben. Nach wie vor gibt es für sie keine Sportart, die das Turnen ersetzen könnte. Als Person fühlt sie sich stark geprägt durch die Wettkampfjahre: «Der Drang ist immer noch da, stets noch mehr zu wollen – heute kann ich diesen aber konstruktiv nutzen.»