1. Mai
«Es braucht Chancengleichheit und Solidarität für alle»

Paola Gallo, SP-Frau aus Basel und Geschäftsführerin des Strassenmagazins Surprise, forderte in Brugg mehr Chancengleichheit und appellierte an die Eigenverantwortung.

Janine Müller
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1.-Mai-Feier in Brugg

1.-Mai-Feier in Brugg

Janine Müller (jam)

Paola Gallo kennt sich mit Armut aus. Als Geschäftsführerin des Strassenmagazins Surprise weiss die SP-Frau aus Basel aber nicht nur traurige Geschichten zu erzählen, sondern auch Geschichten von Menschen, die einen Weg aus der Misere, aus der Armut gefunden haben. In ihrer 1.-Mai-Rede im «Odeon» in Brugg brachte Paola Gallo zum Ausdruck, wie wichtig Chancengleichheit auf diesem Weg ist.

Jeder ist gefordert

Sie betonte, dass sich die Einstellung und die Haltung der Gesellschaft verändern müssen. Und zwar dahin, dass die Ungleichheit zum Thema gemacht wird. «Armut muss aus der Tabu- und Schamzone herausgeholt werden», forderte sie. «Es braucht Chancengleichheit und Solidarität für alle.» Armut treibe einen Keil in die Gesellschaft. «Das können wir uns nicht leisten.» Damit diese Chancengleichheit Realität werde, sei jeder gefordert. «Am 1. Mai können wir uns empören. Wir können aber auch damit beginnen, die Gesellschaft zu verändern.»

Der Spoken-Word-Künstler Renato Kaiser an der 1.-Mai-Feier in Brugg:

Die SP-Frau wies darauf hin, dass eine Million Menschen in der Schweiz am oder unter dem Existenzminimum leben, dass Randständige an Bahnhöfen nicht gerne gesehen werden, dass die Sitzgelegenheiten auf öffentlichen Plätzen so konzipiert sind, dass Obdachlose keinesfalls darauf liegen können.

Sie prangerte an: «Obdachlosigkeit und Armut werden in der Schweiz verdrängt. Stattdessen diskutieren wir lieber über Sozialschmarotzer und Sozialdetektive.» Gerne werde in der Schweiz behauptet, dass hier niemand arm sein müsse, dass jeder Arbeit finde, der arbeiten wolle.

Armut als Negativspirale

Paola Gallo gab aber zu bedenken, dass aus einer vermeintlich stabilen Situation rasch eine instabile werden kann. "Eine schwere Krankheit oder ein Unfall können Menschen in die Armut treiben", sagte sie. Diese Spirale dann zu durchbrechen, sei enorm schwierig. Niemand stelle eine Person wieder ein, die aus Krankheitsgründen ihre Arbeit aufgeben musste, jemand mit Schulden bekomme keine Wohnung mehr.

"Es ist eine Negativspirale", so Gallo. "Die betroffenen Menschen verspüren Scham, weil sie das Gefühl haben, dass sie versagt haben." Hilfe holen sei für viele ein grosser Schritt. Ein Schritt, der aber notwendig ist, um die Negativspirale zu stoppen. Ein grosser Schritt für die Gesellschaft wäre es auch, wenn Armut nicht mehr ein derartiges Tabu wäre.

Armut, Sozialhilfe, Chancengleichheit - es sind ernste Themen, die Paola Gallo in ihrer Rede aufgegriffen hat. Weniger ernst ging es dann im zweiten Teil der 1.-Mai-Feier im "Odeon" weiter: Spoken-Word-Künstler Renato Kaiser brachte die Genossinnen und Genossen mit seinem Auftritt zum Lachen.