Brugg-Windisch
Das «Pfui» kennt nur Homo sapiens

Der neue Vortragszyklus Interface an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) beschäftigt sich mit dem Begriff des Tabu. Den Auftakt machte der Ethnologe Heinzpeter Znoj.

Christoph Bopp
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An der FHNW findet der Vortrag "Interface" statt.

An der FHNW findet der Vortrag "Interface" statt.

Keystone

«Tabu» ist ein nicht ganz leichter Begriff. Natürlich unübersetzbar. «Unantastbar» ist eine Umschreibung, «verboten» trifft es nicht – in der Kinderbibel war eines der irritierendsten Lektürebeispiele der Tod des armen Ussa, der in 2. Samuel, 6 die Bundeslade hielt, als sie vom Wagen zu rutschen drohte, deswegen aber sterben musste, weil ihm nicht erlaubt war, das heilige Möbel zu berühren.

Ähnlich dürfte es Kapitän James Cook gegangen sein, der den Begriff 1777 zum ersten Mal in seinem Tagebuch erwähnt. Er hatte allerdings bereits das Begriffsschema bereit, um das Tabu in sein Weltbild einzubauen. Geprägt von der europäischen Aufklärung passte es gut, um das «Wilde» vom «Zivilisierten» abzugrenzen.

Offenbar irrational und völlig willkürlich kamen ihm diese Vermeidungsgebote vor, die bei Übertretung mit strengen Strafen geahndet wurden. Dabei war – so führte Heinzpeter Znoj, Professor für Sozialanthropologie an der Universität Bern, aus – das Tabuempfinden damals auch in Europa vorhanden. Einfach nicht so drastisch. Aber «Erregung öffentlichen Ärgernisses» deckelte unerwünschtes Verhalten nicht weniger willkürlich.

Znoj zeigte, wie die Forschung das Tabu rationalisierte. Das Inzesttabu/ Exogamiegebot (das einzige kulturelle Universale) und die Speisetabus lassen sich meist auch leicht erklären. Was bleibt, ist dann nur die Frage: Woher kommt der Ekel? Offenbar liegen diesen Tabus biopsychische Prägungen zugrunde.

Zu naher Kontakt beim Aufwachsen verhindert spätere sexuelle Attraktivität. Und: Wovor man sich ekelt, wird zwar erworben (auf Flores, Sumatra empfanden Moslems auf einmal Ekel, obwohl sie früher zusammen mit Katholiken bedenkenlos Schweinefleisch gegessen hatten), aber die Disposition dazu ist genetisch bedingt. Solcherart «verkörperlichte Normen» befördern wirksam Zusammenhalt und Kooperation und waren vielleicht ein Evolutionsvorteil für Homo sapiens.

Nächster Anlass: Montag, 3. April 2017, 17.15, Aula FHNW: Pfr. Peter Winiger:
«Tabu – ein archaisch-religiöses Konzept macht Karriere im säkularen Raum der Moderne.» Eintritt frei.