Ab dem 30. April findet die Ausstellung «Der verlängerte Blick» für wenige Tage im Bözberger Ortsteil Linn statt. Walter Lerch gab dabei Tochter Renate Lerch Teile seiner Malerei zur Veränderung frei.
Als junge Frau wollte sie sich eine Weile nicht mehr mit den Bildern ihres Vaters umgeben. «Die Malereien sind so stark mit Vorstellungen aus meiner Kindheit verbunden, dass ich sie, als ich von zu Hause auszog, erst einmal versorgen wollte», erzählt Renate Lerch. Beim Kaffee zeigt die Künstlerin Werke ihres Vaters auf dem Smartphone.
Es sind grosse Ölbilder, besonders von Landschaften, die Walter Lerch seit seiner Jugend anfertigt. Für seine Arbeiten ging der mittlerweile 89-Jährige meist direkt an den Ort des Geschehens, zu Hause liess er die Malereien auf der Staffelei trocknen.
Renate Lerch erinnert sich:
«Sein Atelier war direkt neben unserem ‹Meitlizimmer›. Der Geruch von Terpentin heimelt mich heute noch an.»
Auch die Schinznacherin begann ihre künstlerische Karriere mit dem Malen und Zeichnen. Das Abbilden liege ihr zwar, interessiere sie heute aber nicht mehr, erklärt die Dozentin Fachdidaktik Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste.
Inzwischen unterscheiden sich die Stile von Tochter und Vater stark. Trotzdem werden die beiden ab Samstag unter dem Titel «Der verlängerte Blick» im Kunstraum Begegnung Linn 24, dem Haus von Martha und Franz-Friedrich Fischer, eine gemeinsame Ausstellung zeigen.
Es ist das zweite Mal in 35 Jahren, dass Renate und Walter Lerch zusammen Werke präsentieren. Doch es ist mehr als ein simples Nebeneinander: Die 63-Jährige hat ausgewählte Bilder ihres Vaters, hinter denen sie zwar manche Geschichte kennt, aber oft nicht den Ort der Entstehung, mit Stich und Faden bearbeitet.
Teilweise zerschnitt Lerch Malereien des ehemaligen Lehrers und setzte sie neu zu quadratischen Formaten zusammen. Sie sagt:
«So ist jede Blickrichtung möglich.»
Wie Renate Lerch genau auf die Idee kam, die Nähmaschine an den Malereien des Vaters anzusetzen, kann die Künstlerin nicht sagen. Bei all ihren Projekten erhalte sie eine Art Eingebung. «Plötzlich ist klar, was ich wie angehen soll.» Seit Jahren «vernäht» Lerch bereits Prints und wäscht anschliessend das Papier aus. Zum Textilen habe sie eine grosse Affinität. Diese entdeckte sie vor 40 Jahren an der «Kunschti» in Zürich.
Für die Veranstaltung ab Samstag brachte die Atelier-Räumung ihres Vaters den Stein ins Rollen. Nach einem langen künstlerischen Prozess und unzähligen Ausstellungen hat Walter Lerch das Malen inzwischen praktisch aufgegeben. Für die Ausstellung wählten sie zusammen Bilder für die Weiterbearbeitung aus.
Für Lerch war es eine «natürliche Weiterführung» der Werke, als sie die bemalten Leinwände unter die Nähmaschine legte: Die Nähstiche verändern die Dynamik, heben Details hervor, eröffnen eine frische Perspektive auf das Bild.
Dass Renate Lerch nicht mit einer «leeren Leinwand» beginnt, sondern sich mit Bestehendem auseinandersetzt und dabei Neues entdeckt, zieht sich als roter Faden durch ihre Kunst. «Unsere bildüberflutete Welt braucht nicht noch mehr neue Bilder», erklärt die 63-Jährige. Es gebe genug Anlässe, welche sie künstlerisch weiterverfolgen wolle.
Im Rahmen von «Der verlängerte Blick» bearbeitete sie etwa die Abbildung einer Eislandschaft:
«Da habe ich beherzt losgenäht ‒ und eine ganz neue Geschichte vorgefunden.»
Rund zweieinhalb Jahre arbeitete die Schinznacherin an den Werken von Walter Lerch. Dass diese einmal in einer Ausstellung zu sehen sein werden, daran habe sie nie gedacht. Vater und Tochter präsentieren bei Fischers insgesamt 40 Bilder, die zum Verkauf stehen. Die Ölbilder von Walter Lerch sind an den Wänden zu finden, während die vernähten Bilder von Renate Lerch ausgelegt werden: zum Anfassen, Umdrehen, Erleben.
Ausstellung «Der verlängerte Blick» Samstag, 30. April, 14 bis 17 Uhr. Jeweils von 10.30 bis 17 Uhr: Sonntag, 1. Mai, Donnerstag, 5. Mai, Samstag, 7. Mai, und Sonntag, 8. Mai. Begegnung Linn 24, Bözberg.