Zwei Künstlerinnen ergründen das Flüchtige. Ihre Ausstellung in Brugg zeigt: Die Welt steht auf wackligen Beinen.
Es waren die Fensterputzer und Fassadenreiniger. Auf wackligen Gerüsten, teils kaum mehr als Stelzen, standen sie, um den Häusern ihren Glanz zurückzugeben. Rosângela de Andrade Boss (*1966) hat sie auf ihrer Reise durch ihr Heimatland Brasilien beobachtet und fotografiert. Die Aufnahmen dieser Arbeiter mit ihren improvisierten Werkzeugen regten sie an, sich für die neusten Arbeiten vom Papier zu lösen und in den Raum zu treten. Und das tut sie kraftvoll mit starken Farben, klarer Geometrie und unbändigen Ideen.
So hat die Künstlerin das Zimmermannhaus in Brugg für ihren Auftritt umgebaut. Sie hat Säulen aus Pappkarton aufgestellt, kaum zu unterscheiden von den echten, tragenden. Eine Leinwand segelt schwungvoll durch die Stütze, die andere Säule stützt das Gewicht des historischen Baus auf zierliche Füsse. Aus fester Architektur wird so tänzerische Skulptur, ein spielerisches Provisorium.
Die Wände behängen geometrische Figuren. Fast scheinen sie wie Masken, die ihr Publikum neugierig beäugen. Ihre Strukturen entnimmt de Andrade Boss aber vielmehr der traditionellen brasilianischen Architektur. So werden die rezyklieren Kartons von Parfümflaschen zum Bausatz für eine fantastische Modellstadt. Die Künstlerin lebt seit 26 Jahren in der Schweiz. Die aktuellen Arbeiten sind ein neuer, frischer Blick auf ihre alte Heimat.
Der zweite Teil der Ausstellung, oben im Dachstock, empfängt das Publikum mit einer ganz anderen Stimmung. Die Farben sind hier wohl kaum weniger bunt, doch sie werden geschluckt vom gedämpften Licht und den schwarzen Wänden.
Sara Rohner (*1964) entführt in die flüchtige Welt ihrer Nacht- und Tagträume: Durchscheinende Schatten sitzen steif an langen Tischen, über der kargen Landschaft scheint mal drohend, mal schützend ein ominöses Gestirn. Die teilweise gar spirituellen Motive reagieren auf spannende Weise mit dem nun fast schon sakralen Raum. Höchst symbolisch werden Zeichen und Figuren zum intimen Geständnis.
«Fenster in eine Anderswelt» nennt die Künstlerin ihre sanften Bilder. Und tatsächlich erlaubt sie mit ihnen den Betrachtern einen Einblick in ihre ganz persönliche Sicht auf Umwelt, Mensch und Natur. Es ist ein sinnlicher Blick, der sich von ursprünglichen Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen gleichermassen leiten läss.
Es ist die erste Ausstellung im Zimmermannhaus in diesem Jahr. Noch immer schwebt die Pandemie über der Jahresplanung. Neben dem regelmässigen Kammermusik-Zyklus öffnet sich das Haus daher nun auf besondere Weise für ein neues Publikum. Am Eröffnungswochenende gibt Gilles Tschudi ein Gastspiel mit «Nipple Jesus», einem Theaterstück nach Nick Hornby. Unter der Regie von Julia Heinrichs spielt Tschudi den Museumswärter Dave, der ein kontroverses Kunstwerk bewacht. Das reale Museum wird ihm zur Bühne für Fragen und Zugänge zur Kunst – die schliesslich, klug und gewitzt, zum Plädoyer werden für die Freiheit der Kunst.
Passages: Vernissage am 21.1. Am 23.1. ist Gilles Tschudi mit Nipple Jesus, einem Theaterstück von Nick Hornby, zu Gast. Ausstellung bis 6.3. Zimmermannhaus Brugg.