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Mit einer neuen Experimentierkammer können Forscher Abläufe in der Atmosphäre nachstellen. Die Röntgenstrahlen helfen dabei, den Ozonabbau zu verstehen.
Mit dem Röntgenlicht aus der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) können Abläufe in der Atmosphäre mit bisher unerreichter Präzision untersucht werden. In ersten Experimenten haben Forschende des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) in Villigen damit im Detail gezeigt, wie Brommoleküle in der Luft gebildet werden. Diese spielen eine wesentliche Rolle beim Abbau von Ozon in den unteren Schichten der Atmosphäre. Mit ihren Ergebnissen leisten die Forschenden auch einen wichtigen Beitrag zu Modellen, mit denen die Veränderungen des Klimas und der Zusammensetzung der Luft erklärt und vorhergesagt werden. Die Experimentierkammer wird in Zukunft Forschenden aller wissenschaftlichen Fachrichtungen zur Verfügung stehen, die sich mit der Chemie der Atmosphäre oder auch mit anderen Themen in Energie- und Umweltforschung beschäftigen.
Ozon in der oberen Atmosphäre schützt uns vor gefährlicher UV-Strahlung, zu viel Ozon in unserer Atemluft kann hingegen unsere Gesundheit gefährden. Wenn nicht gerade Sommersmog herrscht, ist die Konzentration von Ozon in den unteren Schichten der Atmosphäre aber ungefährlich und bleibt weitgehend konstant. Denn die Prozesse, bei denen Ozon gebildet oder abgebaut wird, halten sich ungefähr die Waage. Dazu leisten Brom und verwandte chemische Elemente wie Chlor und Iod in der Luft einen wesentlichen Beitrag: Global gesehen sind sie für rund 50 Prozent des Ozonabbaus verantwortlich.
Für die Entstehung von Brom in der Atmosphäre ist wiederum Ozon mitverantwortlich. Denn Brom bildet sich, wenn Bromid, das im Meerwasser enthalten ist, mit Ozon aus der Luft in Berührung kommt. Das passiert an der Meeresoberfläche oder auch an der Oberfläche kleiner Tröpfchen (Feinstaub), die bei der Gischt-Bildung entstehen. Weil 70 Prozent der Erde von Ozeanen bedeckt ist, läuft dieser Prozess global gesehen in sehr grossem Massstab ab.
Nun haben Forschende des PSI erstmalig Details dieser wichtigen chemischen Reaktion bestimmt. Dafür haben sie in einer neuen Experimentierkammer die Vorgänge an der Wasseroberfläche nachgestellt und mithilfe von Röntgenlicht aus der Synchrotron Lichtquelle Schweiz des PSI untersucht. Theoretische Berechnungen aus Instituten in der Schweiz, den USA und Katar haben bei der Interpretation der Messergebnisse geholfen.
Die SLS ist eine Grossforschungsanlage, die besonders intensives Röntgenlicht erzeugt, dessen Eigenschaften genau an die Bedürfnisse verschiedener Experimente angepasst werden können. Herzstück der Anlage ist ein kreisförmiger Teilchenbeschleuniger mit rund 288 Metern Umfang. Durch das Röntgenlicht der SLS lassen sich einzelne Substanzen sehr präzise nachweisen – auch wenn sie nur sehr kurz existieren. «Wir konnten zeigen, dass während der chemischen Reaktion an der Wasseroberfläche für kurze Zeit eine Verbindung von Bromid und Ozon entsteht, die zwar theoretisch vorhergesagt worden war, aber bisher nicht beobachtet werden konnte», sagt Luca Artiglia, der verantwortliche Wissenschaftler. Markus Ammann, Leiter der Forschungsgruppe Oberflächenchemie am PSI, erklärt: «Diese Ergebnisse helfen nicht nur, die Bromchemie in der Atmosphäre zu verstehen, sie werden auch in künftige atmosphärische Modelle einfliessen und so zum Verständnis der Klimaentwicklung und der chemischen Zusammensetzung der Luft beitragen.» Gleichzeitig veranschaulichen die Ergebnisse, dass die von den Forschenden aufgebaute, weltweit einzigartige Experimentierkammer tatsächlich die erwarteten Einblicke ermöglicht. «In Zukunft wird die Kammer auch anderen Forschenden zur Verfügung stehen, die Abläufe an Oberflächen für die Energie- und Umweltforschung untersuchen», betont Artiglia.