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Die «Bären»-Betreiber in Remigen erzählen, wie sie der Coronakrise trotzen, warum ein Stellenabbau alles schlimmer machen würde und wie sich Gäste für ihre Absagen beim dreiköpfigen Team entschuldigen.
«Ohne Stellenabbau kein Überleben», titelte diese Zeitung Anfang November einen Artikel, in dem drei Gastrobetriebe aus dem Bezirk Brugg sich zur Coronakrise äusserten. «Ich verstehe nicht, warum man jetzt Leute entlässt», sagt Wirtin Sonja Keller-Wernli vom Landgasthof Bären in Remigen. Und sie ergänzt:
Das macht den wirtschaftlichen Schaden doch nur noch schlimmer, wenn die Entlassenen nicht bald eine neue Stelle finden und am Schluss bei der Sozialhilfe landen. Wir können für unsere Angestellten im Notfall ja Kurzarbeit beantragen.
Seit über zehn Jahren führt die 34-Jährige zusammen mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder Thomas Wernli und ihrer Zwillingsschwester Esther Baumann-Wernli den Familienbetrieb in dritter Generation. Seniorchef Ernst Wernli, der den Gasthof während 40 Jahre zusammen mit seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau leitete, hilft mit, wo er kann, und hütet die sechs Grosskinder. Kurz vor Mittag sitzen ein paar Männer am Stammtisch zusammen und das Lokal füllt sich allmählich mit weiteren Gästen. «Am Mittag läuft es sehr unterschiedlich. Das macht die Planung anspruchsvoll», sagt Sonja Keller. Sie meint damit nicht nur das Personal, sondern auch das Angebot mit etwa acht bis zehn Tagesmenus.
Als der Bundesrat am 18.Oktober die Maskenpflicht für Restaurants verfügte, trudelten im «Bären» für die erste Woche über 100 Absagen ein. Viele Gäste hätten Angst vor einer Ansteckung, sagt Keller. Einige Handwerksbetriebe verböten ihren Angestellten, fürs Znüni oder Mittagessen einzukehren. Zudem fehlten die Vereine, die in dieser Jahreszeit auch zum traditionellen Metzgete-Essen kommen. Das Geschwister-Trio sass zusammen und überlegte, ob es die Öffnungszeiten stärker als mit der vorgeschriebenen Sperrstunde um 23Uhr reduzieren soll. Wenn keine Gäste mehr da sind, schliesst das Lokal neu um 22Uhr. Der Take-away wird wieder häufiger genutzt.
Während des Lockdowns im Frühling richteten die «Bären»-Wirte zusätzlich zum Take-away-Whatsapp-Business ein. Über diese App bestellten Bauarbeiter und Leute im Homeoffice ihre Mittagsmenus. Geliefert wurde direkt von Remigen nach Villigen oder Windisch. «Die Arbeiter freuten sich sehr über die warmen Mahlzeiten», erzählt Sonja Keller. Auch Stammgäste wurden mit Essen vom «Bären» bedient. Doch mit dem Take-away konnten die Betreiber im Monat April nur gut einen Fünftel der üblichen Essenseinnahmen kompensieren.
Das sonst lukrative Geschäft mit den Getränken versiegte fast vollständig. Dazu kam, dass Feldschlösschen das Bier, bei dem das Verkaufsdatum ablief, nicht zurücknahm. Einzig die Hotelzimmer wurden besser als im Vorjahr nachgefragt, weil sie von Monteuren belegt waren. Und diesen servierte die Wirte jeweils am Abend gerne ein grosses Bier als Supplement, um es nicht wegwerfen zu müssen. Unter dem Strich resultierte im April im Remiger «Bären», über alle Sparten betrachtet, eine Umsatzeinbusse von 72% und für das ganze zweite Quartal von 63% gegenüber 2019.
Dank einem schönen Sommer und der Metzgete in der ersten Oktoberhälfte betrug die Umsatzeinbusse vom 1. März bis 31. Oktober gegenüber dem Vorjahr noch gut 42%. Um Kurzarbeit für Arbeitgeber beantragen zu können, müsse sich die Umsatzeinbusse auf mindestens 55% belaufen, sagt Sonja Keller. Die 34-Jährige ist stolz auf ihre oft langjährigen Angestellten. «Hier arbeitet niemand per Zufall», betont die Wirtin. «An den meisten Angestellten hängen Familien, für die dieses Einkommen wichtig ist.» Der Zusammenhalt im 15-köpfigen Team sei enorm stark und das Personal komme den Betreibern jeweils unkompliziert entgegen beim Erledigen der Arbeiten sowie bei der Einsatzplanung.
Für Sonja Keller bedeutet die Coronakrise viel zusätzliche Büroarbeit für das Ausfüllen von Formularen. Die aktuellen Jobs zu sichern, ist dem Geschwister-Trio ein grosses Anliegen. So hat es auch nicht einen Moment gezögert, im August die Lehrstelle in der Küche wie geplant zu besetzen. Begeistert erzählt die Wirtin, dass sich sogar Gäste, die beispielsweise ein Geburtstagsessen absagen, mit einem Kärtchen und Schöggeli bei ihnen entschuldigen.
Dass man jetzt vor dem Lokal auch Heizpilze oder ein Zelt ohne Bewilligung aufstellen könnte, findet Sonja Keller grundsätzlich eine gute Idee. Die Heizpilze kann sie sich allerdings eher in der Stadt vorstellen. Sie setzt zusammen mit ihren Geschwistern auf eine bessere Nutzung des Kegelstüblis. So sollen vor der Kegelbahn, die aufgrund der Maskenpflicht deutlich weniger genutzt wird, ein heller Vorhang aufgehängt sowie schön gedeckte Tische aufgestellt werden. Gut möglich, dass die Curler demnächst regelmässig zum Kegeln nach Remigen kommen, weil die Curlinghalle geschlossen ist.
Trotz grosser Unsicherheit kann Sonja Keller der Coronakrise auch Positives abgewinnen. «Wir sind froh, dass wir alle gesund sind, dankbare Gäste haben und mehr Zeit mit der Familie verbringen können», sagt die dreifache Mutter. «Wenn wir diese Krise nicht gemeinsam durchstehen, so haben wir in der Vergangenheit etwas falsch gemacht», lautet ihr Motto. Sollte es wider Erwarten im Kanton Aargau zu einem zweiten Lockdown kommen, wäre das «Bären»-Team gerüstet.
So hat es beispielsweise schon zusätzlich alle Metzgete-Variationen fotografiert und kann den Take-away sowie den Lieferservice sofort wieder hochfahren. Schliesslich geht es primär darum, möglichst viele Gäste glücklich zu machen. Das gelingt auch, wenn zum Kaffee nach dem Mittagessen mit Suppe und Salat ein selbst gebackenes Guetzli serviert wird.