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Nach 20 Jahren tritt der Grossrat Richard Plüss ab. In der az erzählt der Politiker, wie er Teil der «Brugger Mafia» war und das Verkehrsproblem lösen würde
Dicker Nebel liegt an diesem Morgen über dem Flugplatz Birrfeld. Ans Fliegen ist nicht zu denken. Das ist auch gar nicht nötig, denn wir treffen im Restaurant zum Gespräch einen Mann mit Flugangst und grosser Bodenhaftung: Ammann Richard Plüss aus Lupfig, seit knapp 20 Jahren SVP-Grossrat.
Am kommenden Dienstag verabschiedet er sich aus dem Kantonsparlament. Erst im März 2017 wird er mit dem Scherzer Gemeindeammann Hans Vogel auf der Zuschauertribüne wieder im Grossratssaal anzutreffen sein. Dann findet die Abstimmung über den Zusammenschluss Lupfig-Scherz statt. Plüss kandidiert nächsten Sommer als Ammann für die neue Fusionsgemeinde ab 2018.
«Ich bin von der Arbeitslast her sehr froh, dass ich mich an einem Ort ausklinken kann. Es war der richtige Entscheid, nicht mehr zur Grossratswahl anzutreten», sagt der 62-Jährige und rührt mit dem Löffel im Hagebuttentee. Seit August laufe wieder alles auf Hochtouren – auch während der Herbstferien habe es keine Zeit zum Durchatmen gegeben. Plüss wird von seinen Ratskollegen als engagiert, beharrlich, bodenständig, kooperativ und konstruktiv beschrieben. SVP-Grossrätin Vreni Friker: «Hart in der Sache – aber fair im Umgang mit anderen Meinungen.»
Plüss steht für Konstanz: Bevor er vor 15 Jahren in den Gemeinderat Lupfig gewählt wurde, war er 13 Jahre lang Mitglied der Schulpflege (davon 12 Jahre als Präsident). Im Forstbetrieb Birr-Lupfig arbeitet er seit 35 Jahren (heute als Förster in einem 70-Prozent-Pensum). Einen Tag pro Woche unterrichtet er am Berufs- und Weiterbildungszentrum Brugg angehende Forstwarte – auch das schon seit über einem Vierteljahrhundert.
Die Arbeitslast in der Gemeinde und im Beruf werde immer grösser und er spüre langsam das Alter, sagt Plüss. Die Zeit im Grossen Rat möchte er aber nicht missen. «Ich habe sehr viel gelernt und mir ein politisches Netzwerk aufgebaut, von dem ich auch auf kommunaler und beruflicher Ebene profitieren konnte», bilanziert Richard Plüss.
Besonders stolz ist er auf den Fachhochschulentscheid mit dem Campus-Neubau und die Rettung der Berufsschule zugunsten der Region Brugg. Der SVP-Politiker war zu jener Zeit Präsident der Kommission für Erziehung, Bildung und Kultur. «Als Präsident musste ich mich neutral verhalten, aber im Hintergrund habe ich gekämpft wie ein Leu», sagt er und lacht verschmitzt.
Plüss denkt langfristig und in internationalen Dimensionen. Bildungspolitisch liegt ihm der Verbund mit dem Technopark und dem Hightech-Zentrum Aargau sehr am Herzen. Und wenn die SVP hier jeweils kurzfristiges Sparpotenzial wittert, hebt Plüss mahnend den Finger und appelliert an die Nachhaltigkeit. «Manchmal bin ich in meiner Partei halt ein Exot.»
Von sogenannten Finanzspezialisten, die heute etwas entscheiden respektive ein paar Millionen Franken streichen und morgen den Erfolg messen wollen, hält der zweifache Vater und Grossvater nicht viel. «Wenn wir den Aargau weiterbringen wollen, müssen wir auch investieren.»
Zum Wohl der Bevölkerung gehören seiner Ansicht nach neben gesunder Industrie und Gewerbe auch Arbeit, Tagesstrukturen und ein Netzwerk, das man pflegt. Mit einer soliden Grundausbildung (Volksschule und Sekundarstufe II) biete der Aargau grosse berufliche Chancen.
Rund 90 Vorstösse hat Plüss während seiner Grossratstätigkeit initiiert oder mitunterzeichnet. Dabei ging es neben den bereits erwähnten Themen etwa um erneuerbare Energien, die Lockerung der Bauvorschriften für innere Verdichtung, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die Abschaffung der Schulpflege. Keine typischen SVP-Themen.
Ist der 62-Jährige wirklich in der richtigen Partei? Plüss sagt: «Ja, keine Angst. Ich bin beispielsweise der klassische Autofahrer und sehe die Problematik auf der Strasse, aber es braucht eine Gesamtbetrachtung und dazu gehören der öV sowie Fuss- und Radwege. Gerade bei den E-Bikes sehe ich noch grosses Potenzial.»
Der scheidende Grossrat bedauert, dass die Umfahrung Lupfig aus dem Richtplan gestrichen wurde. Die Südwestumfahrung Brugg als Alternative ist für Plüss «noch nicht das Ei des Kolumbus». So sei auch der Autobahnausbau auf sechs Spuren sicher eine Option, dem Verkehrsproblem zu begegnen, aber dann müsste das quer durch die Schweiz und nicht nur im Aargau passieren, da man sonst nur das Problem verlagere.
Skeptisch ist Plüss ausserdem beim Projekt Ostaargauer Strassenentwicklung (Oase): «Eine oberirdische Lösung nahe der Auenlandschaft wird nie mehrheitsfähig sein.» Für ihn käme deshalb nur eine unterirdische Variante infrage, auch wenn diese teurer sein wird: «Ideal wäre es, im Bereich Hausen/Windisch einen Tunnel zu bauen, der bis nach Würenlingen führt.»
Legendär im Grossen Rat war das SVP-Trio bestehend aus Richard Plüss, Jörg Hunn (Riniken) und Jürg Stüssi-Lauterburg (Windisch) – besser bekannt als «Brugger Mafia». Plüss erinnert sich: «Wir haben uns optimal ergänzt, weil wir komplett verschiedenen Berufen nachgingen.» Zusammen reichten sie zahlreiche Vorstösse ein.
Sie kämpften gegen die Schliessung des Bezirksspitals in Brugg – und verloren. «Damals hiess es, das Kantonsspital Baden könne die Patienten aus Brugg problemlos übernehmen, was sich als falsch erwies. Denn heute gehört das KSB zu den besten Kunden im Medizinischen Zentrum Brugg», bilanziert der 62-Jährige.
Der Förster ärgert sich noch immer, dass er zu spät realisierte, wie unter Regierungsrat Peter C. Beyeler sein Vorstoss zur Beteiligung des Kantons an Sicherheitsholzschlägen entlang der Kantonsstrasse abgeschrieben wurde. Der Grosse Rat hatte das Anliegen von Plüss Jahre zuvor überwiesen und der Regierungsrat weigerte sich, den Vorstoss umzusetzen.
In die Amtszeit von Richard Plüss fiel auch die Verkleinerung des Kantonsparlaments von 200 auf 140 Mitglieder. Die Vorteile: mehr Platz und EDV-Vernetzung. Der Lupfiger nutzt die Ratssitzungen gerne für Arbeiten mit dem Notebook.
Unter dem Strich sei die Grossratstätigkeit effizienter, die Distanz unter den Mitgliedern aber grösser geworden. «Interessanterweise kannte ich früher fast alle 200 Namen. Das ist heute, wegen der vielen Sitzungsausfälle, längst nicht mehr der Fall», stellt Plüss fest.
Parteilinien sind für Plüss keine starren Grenzen, wichtiger als Parolen sind gute Lösungen. Der Grüne-Grossrat Robert Obrist aus Schinznach sagt es so: «Richi Plüss hat, als einer der wenigen Grossräte seiner Partei, eigene Meinungen entwickelt und auch vertreten. Sein Engagement – insbesondere in der Bildungspolitik – werde ich vermissen.»
SVP-Grossrätin Vreni Friker aus Oberentfelden betont: «Als Präsidentin des Aargauischen Waldwirtschaftsverbands werde ich meinen Mitstreiter vermissen. Mit Richi Plüss verlässt der letzte Förster das Kantonsparlament.» Er habe den Regierungsrat regelmässig mittels parlamentarischer Vorstösse beauftragt, vermehrt Holz als Baumaterial für kantonale Bauten einzubeziehen.
Von seinem Grossrats-Rücktritt werde seine Frau am meisten merken, weil er nicht mehr das ganze Wochenende durcharbeiten muss, sagt der Berufsschullehrer. Auch sein Bayrischer Gebirgsschweisshund Boss dürfte von seiner zusätzlichen Freizeit profitieren. Während dem Gespräch hat er geduldig im Auto gewartet. Doch beim Fotoshooting vor dem Biotop darf der Vierbeiner natürlich nicht fehlen.