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Aargau
Vor dem Bezirksgericht Kulm hat am Dienstag der Prozess gegen einen heute 38-Jährigen stattgefunden, der am 23. Dezember 2016 in Dürrenäsch mit dem Auto in eine Mutter und ihre beiden kleinen Kinder gefahren ist. Das Gericht sprach ihn schuldig. Der Gerichtspräsident sprach von einem «Albtraum».
Bevor der Unfall passierte, waren sie in Aarau beim Coiffeur – der Beschuldigte und seine beiden kleinen Kinder. Vom Telli-Zentrum fuhren sie dann am späteren Nachmittag des 23. Dezember 2016 via Schafisheim, Seon und Hallwil nach Dürrenäsch. Kurz bevor sie zu Hause ankamen, passierte es. In einer Rechtskurve fuhr der heute 38-Jährige geradeaus über das Trottoir.
Dort erfasste er eine Mutter, die mit ihren beiden Kindern und dem Hund am Spazieren war. Der Einjährige war im Kinderwagen; der Säugling – noch keinen Monat alt – trug die Mutter vor der Brust.
Durch den Aufprall wurde der Kinderwagen gemäss Anklageschrift 21,5 Meter durch die Luft geschleudert. Die Mutter prallte auf die Windschutzscheibe und wurde ebenfalls 19 Meter weggeschleudert.
Der Säugling löste sich vom Körper der Mutter, weil der Tragegurt riss. Er blieb in ihrer Nähe auf der Wiese liegen. Das wenige Wochen alte Baby starb einen Tag nach dem Unfall. Die Mutter und der Einjährige wurden lebensgefährlich verletzt.
Gestern Dienstag musste sich der Unfallfahrer vor dem Bezirksgericht Kulm verantworten. Er erinnere sich nicht mehr an den Aufprall, sagte der 38-Jährige, der mit seiner Familie inzwischen nicht mehr in Dürrenäsch, sondern im Elsass lebt.
Seine erste Erinnerung nach dem Unfall sei die Windschutzscheibe. Er sagte:
«Das Bild der Scheibe werde ich nie vergessen.»
Für die Staatsanwaltschaft ist erstellt, dass der Beschuldigte «schlicht übermüdet» war und sich an diesem Tag nicht mehr hinters Steuer hätte setzen sollen. Indem er es trotzdem tat, habe er seine Sorgfaltspflicht verletzt und mit der Fahrt nicht nur die drei späteren Opfer, sondern auch seine zwei eigenen Kinder gefährdet.
Der Beschuldigte hingegen führte aus, er habe am Tag des Unfalls nicht gemerkt, dass er müde war. Die Staatsanwältin bezeichnete dies als Schutzbehauptung.
Er selbst habe am Unfallort mehreren Zeugen erzählt, er sei wohl hinter dem Steuer eingeschlafen. Erst nachdem er einen Anwalt beigezogen habe, habe er von einem Schlafmanko nichts mehr wissen wollen und sich darauf berufen, dass es wegen eines medizinischen Problems zum Unfall kam.
Das Bezirksgericht Kulm sprach den Angeklagten einstimmig der fahrlässigen Tötung, der mehrfachen fahrlässigen schweren Körperverletzung und des Fahrens in fahrunfähigem Zustand schuldig und verhängte eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten.
Ausserdem muss er eine Busse von 2000 Franken zahlen und ist gegenüber der Opferfamilie zu 100 Prozent schadenersatz- und genugtuungspflichtig. Das Urteil kann ans Obergericht weitergezogen werden.
Gerichtspräsident Christian Märki sprach von einem «absolut tragischen Ereignis», mit dem sich das Gericht befassen musste. Er sagte:
«Dieser Unfall ist absolut traumatisch und der Albtraum jeder Familie.»
Gleichzeitig könne man sich nichts Schlimmeres vorstellen, als für einen Unfall verantwortlich zu sein, bei dem ein Kind getötet und zwei Menschen schwer verletzt werden. Der Unfall hinterlasse nur Verlierer.
Dennoch habe das Gericht keine erheblichen Zweifel daran, dass der Beschuldigte hinter dem Steuer einnickte und es so zum Unfall kam. Der Sekundenschlaf sei auch nicht aus dem Nichts aufgetreten.
Der Beschuldigte habe die Warnsignale seines Körpers jedoch nicht erkannt, sagte Märki. Darin bestehe die Sorgfaltspflichtverletzung und dafür müsse er die Verantwortung tragen.
Mit seinem Urteil folgte das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Der Verteidiger hatte einen Freispruch verlangt. Der Beschuldigte habe seine Sorgfaltspflicht nicht verletzt. «Er erkannte keine Gefahr, als er mit seinen Söhnen nach Aarau fuhr», sagte der Verteidiger. Er habe daher die Kollision nicht vorhersehen können.
Das letzte Wort hatte der Beschuldigte selbst, bevor sich die Bezirksrichterinnen und Bezirksrichter zur Urteilsberatung zurückzogen. Er drehte sich zum anwesenden Vater des verstorbenen Säuglings und entschuldigte sich.
Er habe nach dem Unfall täglich die Polizei angerufen, um zu erfahren, wie es den Opfern gehe, sagte er. Er sei zutiefst betroffen. «Es lässt mich nicht kalt, was passiert ist.»