Der Saxofonist Shabaka Hutchings ist in verschiedenen Bands zur Leitfigur der hippen Londoner Jazzszene geworden. Sons of Kemet, mit Tubist Theon Cross ist die Aufregendste. «Black To The Future» ist unser Album des Monats. In unserer Bestenliste finden Sie auch Black Midi, Voodoism, Sophie Kennedy, Birdy und Rag'n'Bone Man.
1. Sons of Kemet: Black To The Future
Ein warmer Sog durchzieht dieses Album, getragen von dunkel singenden Tuba-Grooves und impulsiven Saxophon-Linien. Auf weite Strecken tänzelt diese Musik melodiös und mit packenden Riffs ins Ohr. Sie ist immer energetisch aufgeladen, wie das auch in den Texten der Gast-Vokalisten wie Angel Bat Davis, Moor Mother oder Rapper Kojey Radical zum Ausdruck kommt. Da sind Zorn und neues schwarzes Selbstbewusstsein, die an die Proteste von Black Lives Matter anknüpfen. Bandleader Shabaka Hutchings hat in den letzten Jahren mit diversen Bands die britische Jazzszene aufgemischt. Sein neues Album mit Sons of Kemet ist ein Meisterwerk mit auch feineren Nuancen, das den zeitgenössischen Jazz endlich wieder zu einer aufregenden und relevanten Musik macht.
2. Florian Weiss’ Voodoism: Alternate Reality
Voodoism, die Band des 30-jährigen Posaunisten Florian Weiss, gehört zu den vielversprechendsten jungen Schweizer Bands. 2018 gewann die Band den ZKB-Preis und wird von Pro Helvetia prioritär gefördert. Auf ihrem neuen Album «Alternate Reality» hat die Band vor allem im kompositorischen Bereich nochmals einen Schritt vorwärts gemacht. Dazu ist das Zusammenspiel zwischen Altsaxofonist Linus Amstad und dem Bandleader noch ausgeklügelter geworden. Und doch hat man das Gefühl, dass vor allem Florian Weiss sein solistisches Potenzial noch nicht ausgereizt hat. Wir sind gespannt, was da in Zukunft noch kommt.
3. Black Midi: Cavalcade
Da braut sich was zusammen. Wenn Black Midi Musik machen, dann wird es auch mal laut und wild und wirr und knallig und krachig und dann plötzlich: leise. Es ist alles verschachtelt, vertrackt, verspielt. Gewitterhafter Prog-Rock, der sich lustvoll aufbäumt und ebenso lustvoll zusammenfällt. Nie ist die Richtung erahnbar, in welche die Musik sprintet. Voller Umwege. Vielleicht fast ein bisschen zugänglicher als auf dem tollen Debüt. Immer noch eine grossartige Überforderung. Michael Graber
4. Sophia Kennedy: Monsters
Pop mit Zwischengeräuschen. Diese sorgen aber maximal für ein Stolpern beim Tanzen. Sophia Kennedy orgelt auf «Monsters» locker R’n’B-Hits raus («Orange Tic Tac») und stimmt einen dramatischen Abgesang auf die vermeintliche Einzigartigkeit («Francis») an. Es steckt einiges in diesem Monster. Auch Dinge, die man nicht sofort erahnt und heraushört. Darunter mischen sich Tiergeräusche, knarzende Electronics und etwas schrumplige Drums. Es bleibt an der Oberfläche glitzernd und drunter wird’s etwas dunkler.
5. Haftbefehl: Das schwarze Album
Eigentlich noch eine Restanz aus dem Spätapril: Das «schwarze Album» von Haftbefehl konnte mit seiner Dunkelheit aber auch im Mai noch erfreuen. Jeder Beat trifft wie ein Schlag, und die Sprache ist so eigen, dass sie nicht kopiert werden kann. Es geht hier mehr um Stimmung als um Grammatik. Und die Stimmung ist irgendwie nicht gut. Zwar läuft das Geschäft ganz ok (Drogen und so) und trotzdem scheinen da mehr Downs als Highs zu sein. «Offen/Geschlossen» ist ein ruheloser Spaziergang durch die eigenen Abgründe. «Leuchtreklame» ist fast schon politisch und übt Kritik an der Fixierung aufs Geld – dies, nachdem kurz zuvor ebenjenes Geld als moderner Götze verehrt wurde.
6. Girl in Red: If I Could Make It Go Quiet
Wenn dann genug ist mit Dunkelheit und Monster, dann bringt die junge Norwegerin Marie Ulven alias Girl in Red Sonne und Luftigkeit. Das ist federnder, grossspuriger IndiepPop. Textlich geht es aber um all die Dinge, die in einem Spätteenager-Kopf explodieren können; um die Suche nach Glück und Sex etwa, oder den Kampf mit Identität und Depression. «I'm running low on serotonin / Chemical imbalance got me twisting things / Stabilize with medicine», singt sie im Opener. Dazu ziehen die Gitarren nach vorne. Es ist nicht alles gelungen auf diesem Album, aber es ist so ziemlich der Pop der Stunde. Und in den besten Momenten ist er hinreissend.
7. Birdy: Young Heart
Das neue Album von Birdy ihr viertes, ist abgesehen von einer stillen EP im vergangenen Herbst das erste künstlerische Lebenszeichen seit Jahren. Sie sei von den üppigen Arrangements früherer Tage abgekommen, um sich auf die Essenz zu konzentrieren. Statt am Klavier zu sitzen, greift sie häufiger zur Gitarre. Damit gewinnt die Musik eine Leichtigkeit, die ihr gut tut. Mit keinem Ton auf diesem herrlichen Album versucht sich Birdy mit zeitgenössischen Trends anzubiedern.
8. Rag’n’Bone Man: Life By Misadventure
Der englische Koloss weicht auf dem Nachfolgealbum «Life By Misadventure» von seinem Erfolgsrezept mit dem Welthit «Human» ab. Intime Kammermusik, statt Breitleinwandsounds. Transparente, klare Sounds dominieren. Akustisch, spärlich, zurückhaltend, frei von unnötigen Verzierungen. Er nimmt sogar seine Stimme oft zurück. Der Hüne wirkt zurückhaltend und zeigt seine zerbrechliche Seite. Wohltuend und mutig.