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Ennetbaden plant ein Verbot der beliebten Hanghäuser – Experten diskutieren bereits über den nächsten Tabubruch. Eine klare Meinung vertritt etwa Mario Botta.
Ennetbaden will den Bau von Terrassenhäusern an gewissen Stellen verbieten: Die Pläne des Gemeinderates wurden diese Woche publik und sorgten für Schlagzeilen in der ganzen Schweiz. Gemeindeammann Pius Graf (SP) begründet: «Das Ortsbild leidet unter den grossen Stützmauern, markanten Liftanbauten und langen Garagentor-Fronten.» Zudem gehe Grünraum verloren, etwa für Gemeinschaftsflächen und Spielplätze. Die Bauordnung soll diesen Herbst an der Gemeindeversammlung angepasst werden. Gefördert werden sollen statt der übereinandergestapelten Häuser künftig bis zu viergeschossige Wohnbauten mit einer stattlichen Grundfläche von bis zu 22 × 22 Metern, sogenannte Punkthäuser.
Der weltbekannte Tessiner Architekt Mario Botta, der in Baden das neue Thermalbad baut, äussert sich positiv zum geplanten Verbot: «Ich denke, dass in unseren Hügel in der Nähe der städtischen Agglomerationen punktuelle Eingriffe Sinn machen, anstelle von grossflächigen Überbauungen, wie es Terrassenhäuser heute sind.»
Auch der Badener Architekt Stefan Schmidlin lobt: «Das geplante Terrassenhaus-Verbot ist ein mutiger, aber längst fälliger Schritt. Meines Wissens ist Ennetbaden die erste Gemeinde in der Schweiz, welche die Verbreitung dieser Bauform reduzieren will. Andere Gemeinden im Aargau müssten dringend nachziehen», findet er. «Denn die ursprüngliche Topografie, zum Beispiel jene des Wettinger Lägernhangs, verschwindet partiell bis zur Unkenntlichkeit unter einer durchgehenden Baumasse.»
Der Urtyp der Terrassensiedlung existiert noch heute, in Umiken bei Brugg, an einem Hang, der zuvor als unüberbaubar galt. Die Mühlehalde von Hans Ulrich Scherer setzte vor einem halben Jahrhundert neue Massstäbe. Das Terrassenhaus habe durchaus seine Geschichte und seinen Stellenwert im Zusammenhang mit der Architektur und Landschaft, sagt der Badener Architekt Adrian Meyer. Aber er begrüsse den Anstoss Ennetbadens, dem Bautyp des Terrassenhauses Alternativen gegenüberzustellen. «Eine kritische Hinterfragung ist immer dort angebracht, wo die Quantität die Qualität zu dominieren droht.» Es gehe um die Frage der Topografie und der Bebauungsdichte. «Im Sinne eines Denkanstosses halte ich die Überlegungen für sinnvoll, dem Argument der höhen Individualität beim Terrassenhaus auch andere Formen des dichten Bauens am Hang, ohne Verzicht auf Individualität beim Wohnen, gegenüberzustellen. Das gilt auch über die Grenzen der Gemeinde hinaus.»
In den umliegenden Gemeinden ist ein Verbot – zumindest vorerst – kein Thema. Badens Stadtammann Geri Müller: «Im Rahmen der letzten umfassenden Teilrevision wurde jedoch eine Vorschrift eingeführt, die festhält, dass der grosse Grenzabstand bei Terrassensiedlungen im Minimum 10 Meter betragen muss.» Marie-Louise Nussbaumer, Vorsteherin des Ressorts Hochbau in Obersiggenthal: «Wir haben unsere Bau- und Nutzungsordnung vor drei Jahren angepasst. Diskussionen um Terrassenhäuser gibt es regelmässig. Wir haben entschieden, eine hohe Qualität zu verlangen, Ortsbild- und Baukommission schauen genau hin.» Klingnau im Bezirk Zurzach ist eine kleine Stadt mit steilem Hang. «Terrassenhäuser haben sich als sehr geeignet erwiesen, um dieses spezielle Gelände attraktiv und dicht zu bebauen», sagt Stadtammann Oliver Brun. «Ich sehe nicht ein, warum wir daran etwas ändern sollten.»
Stefan Kurath, Architekturprofessor mit Schwerpunkt Städtebau an der ZHAW Winterthur, glaubt eher nicht, dass Terrassenhäuser verschwinden werden. Die Schweiz sei nun mal ein hügeliges Land, Hänge werden auch in Zukunft bebaut. «Terrassenhäuser können im Vergleich mit Einfamilienhäusern einen Beitrag ans verdichtete Bauen leisten, ohne Landwirtschaftsland zu verbrauchen.» Die Städte und Gemeinden müssten jedoch höhere Qualitätsstandards als bisher verlangen und ihre raumplanerischen Hausaufgaben machen, so Kurath.
Terrassenhäuser seien nicht das dringlichste Problem: Die Städte stünden vielmehr vor der Herausforderung, dass die Ausnützungsziffer gerade bei Einfamilienhaussiedlungen viel zu tief sei, es müsse eine höhere Verdichtung angestrebt werden. So will es das Raumplanungsgesetz. «Wirklich mutig wäre es gewesen, wenn Ennetbaden Einfamilienhäuser verboten hätte, die viel Platz benötigen. Aber aus gesellschaftspolitischen Gründen ist dies unrealistisch, da das Bedürfnis danach ungebrochen ist.»
Ennetbadens Gemeindeammann Pius Graf sagt dazu: «Wir haben uns im Gemeinderat mit dem Thema befasst, wie mehr Wohnraum auf einer Parzelle erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang haben wir auch über Mindestdichten gesprochen, das Thema aber nicht weiterverfolgt. Wir waren der Ansicht, dass wir rechtlich im Kanton und in der Schweiz noch nicht so weit sind.»