Bezirk Baden
In vielen Hausarzt-Praxen besteht für Patienten ein Aufnahmestopp

Verzweifelte suchen mit immer ungewöhnlicheren Methoden ihren Vertrauensarzt. So kann es vorkommen, dass sie nachzurutschen hoffen, wenn ein Arzt in einer Todesanzeige erwähnt wurde.

Sabina Galbiati
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Hausärzte bevorzugen häufig eine Gemeinschaftspraxis, weil dort Beruf und Familie vereinbar sind. Symbolbild/Key

Hausärzte bevorzugen häufig eine Gemeinschaftspraxis, weil dort Beruf und Familie vereinbar sind. Symbolbild/Key

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Wer im Bezirk Baden einen neuen Hausarzt braucht, muss immer länger suchen. Egal, ob ländliche Gemeinden wie Niederrohrdorf, Fislisbach oder Städte wie Baden, in vielen Arztpraxen gilt ein Patientenaufnahmestopp. Die Suchenden werden deshalb immer erfinderischer.

Fabian Müller Fuchs, Präsident des Hausärztevereins Baden, führt eine eigene Praxis in Niederrohrdorf. Er kann seit fünf Jahren keine neuen Patienten aufnehmen. «Wir sind überhaupt nicht stolz darauf, im Gegenteil», sagt Müller Fuchs ohne Umschweife.

Fabian Müller Fuchs, Präsident Hausärzteverein Baden: «Viele Hausärzte tragen mit ihrem Nörgeln und Jammern zum negativen Image bei.»

Fabian Müller Fuchs, Präsident Hausärzteverein Baden: «Viele Hausärzte tragen mit ihrem Nörgeln und Jammern zum negativen Image bei.»

zvg

«Es kommt vor, dass Leute bei uns anrufen, wenn ich als Arzt in einer Todesanzeige in der Zeitung verdankt werde. Diese Personen hoffen, dass ein Platz frei geworden ist.» 82 Hausärzte gibt es im Bezirk Baden und Müller Fuchs weiss: Es geht vielen so wie ihm.

Tatsächlich: Praxisassistentin Katja Möllers arbeitet in der Praxis von Ruedi Bosshardt in Baden. Sie tauscht sich regelmässig mit anderen Praxisassistentinnen in Baden aus und weiss, dass viele Praxen seit längerem keine neuen Patienten mehr aufnehmen können.

«Auch in unserer Praxis gilt seit zwei Jahren absoluter Patientenaufnahmestopp», sagt Möllers. «Wir haben jede Woche neue Anfragen. Die Leute sind verzweifelt, was sehr unangenehm ist.» Neue Praxen seien innert kürzester Zeit ausgebucht.

Jammern hilft nicht

Die Probleme der Hausärzte sind bekannt: Viele von ihnen erreichen das Pensionsalter und schliessen ihre Praxis. Junge Ärzte rücken noch zu selten nach. Sie haben Angst, dass sie plötzlich alleine mit einer Praxis dastehen. Hausärzte stehen auf der Ärzte-Lohnliste ganz unten und die Arbeitszeiten sind hart – so zumindest lautet der allgemeine Tenor.

Müller Fuchs ist gar nicht einverstanden mit diesen Klischees. «Leider tragen viele Hausärzte mit ihrem Nörgeln und Jammern zum negativen Image bei.» Er sieht nicht nur die Politik in der Verantwortung. «Die Hausärzte sollten mehr unternehmen, damit sie junge Studienabgänger ins Boot holen könnten.»

Müller Fuchs betreut selber vier Medizinstudenten aus der Region Baden. Er will ihnen zeigen, dass der Hausarztberuf viele tolle Seiten hat. Den jungen Studenten sei gar nicht bewusst, dass ein Hausarzt seinen Patienten sehr nahe stehe und dessen soziales Umfeld und die Familiengeschichte kenne.

Wer mit Grippe oder Rückenschmerzen ohne Hausarzt dasteht, sucht oft die Notfallpraxis des Kantonsspitals Baden (KSB) auf. Hier werden leicht erkrankte und leicht verletzte Patienten aufgenommen, die ein Hausarzt ohne weiteres in seiner Praxis behandeln könnte.

Die Zahl der Patienten steigt hier jährlich um 5 bis 7 Prozent. In den Grippemonaten Anfang Jahr seien es sogar plus 15 Prozent gewesen, sagt Markus Schwendinger, Chefarzt des Interdisziplinären Notfallzentrums am KSB.

Er relativiert die Zahlen zwar, weil auch die Notfallstation jährlich mehr Patienten behandelt. Trotzdem: «Das KSB wird den wachsenden Patientenzahlen Rechnung tragen und insbesondere die Notfallpraxis ausbauen», sagt Schwendinger. Müller Fuchs sieht die Notfallpraxis auch als Chance.

Viele Hausärzte aus der Region leisten Notfalldienst im KSB. «Das ist eine optimale Gelegenheit, um mit Assistenz- und Oberärzten Kontakt zu knüpfen und sie darauf aufmerksam zu machen, dass die Tätigkeit als Hausarzt äusserst spannend ist.»

In den Gesprächen mit verschiedenen Hausärzten wird aber auch klar, dass viele Leute nicht mehr die Geduld haben, eine Grippe auszukurieren oder abzuwarten, ob die Kopfschmerzen wieder vergehen. «Sie wollen immer gleich einen Arzttermin und ein Medikament», sagt ein Hausarzt.

«Dabei würden Geduld und Hausmittelchen oft schon reichen.» Margot Enz, Mitgründerin des «Doktor Zentrum Baden» sagt: «Viele sind wegen der ständigen Googlerei nach Symptomen und Krankheiten verunsichert und wollen zum Hausarzt oder auch direkt zum Spezialisten.» Aber oft würde ein klärendes Gespräch reichen.

«Zu bedenken ist auch, ob es Sinn macht, dass viele Arbeitnehmer bei einer Grippe schon am ersten Krankheitstag ein Arztzeugnis organisieren müssen», sagt sie. Dies sei inzwischen häufig der Fall.

Gemeinschaftspraxen als Chance

Gemeinschaftspraxen sind oft die letzte Chance, einen Hausarzt zu finden. Denn gerade für junge Ärztinnen und Mediziner, die lieber im Anstellungsverhältnis arbeiten, sind Gemeinschaftspraxen eine attraktive Lösung. Sie bieten flexiblere Arbeitszeiten und Teilzeitpensen.

Im September 2014 eröffnete Enz mit drei Ärzten das «Doktor Zentrum Baden». Ein weiteres wird es ab Sommer in Wettingen geben. Wie im Doktorhaus in Fislisbach erhalten Patienten ohne Hausarzt im «Doktor Zentrum Baden» noch einen Termin.

Enz kämpft seit Jahren auch auf politischer Ebene für die Sicherung der Grundversorgung durch Hausärzte. «Um eine solche Gemeinschaftspraxis aufzubauen, braucht es viel Zeit, Arbeit und Geld», sagt Enz mit Nachdruck. «Ist man einmal 50 geworden, baut man eine Gemeinschaftspraxis nicht mehr wegen des monetären Profits auf, sondern weil man motiviert ist, die Grundversorgung für kommende Generationen zu sichern», sagt sie.

Dazu brauche es auch etwas Idealismus. Doch das Modell bewährt sich. Das «Doktor Zentrum» hat nach einem halben Jahr eine weitere junge Ärztin eingestellt, und eine zusätzliche Stelle wird im Sommer besetzt.

«Die flexiblen Arbeitspensen ermöglichen es den Jungen, Beruf und Familie zu vereinen, und sie stehen nicht alleine da.» Enz ist überzeugt vom Modell: «Wir älteren Ärzte können uns schrittweise aus der Praxis zurückziehen und den Jungen übergeben, statt bis zum 70. Altersjahr zu arbeiten, weil kein Nachfolger da ist.»

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