Startseite
Aargau
Aarau
Nachdem sein Zahnarzt in Aarau in Pension geht, erhält ein Kunde von zwei Praxen einen Brief. Beide behaupten, die Nachfolgerpraxis zu sein. Der Pensionierte ärgert sich darüber – hat aber eine Erklärung dafür, wie das kommen konnte.
Wer ein Aufgebot von seinem Zahnarzt erhält, wird selten von grosser Vorfreude erfasst. Noch unangenehmer sind die Perspektiven, wenn gleich zwei Zahnarztpraxen einen Termin vereinbaren wollen. Beide unter dem Vorwand, sie hätten die Patienten des in Pension gegangenen früheren Zahnarztes übernommen.
P. A. (Name der Redaktion bekannt) ist das passiert. Und vielen andern ehemaligen Patienten von Heinz Niedermann dürfte es gleich ergangen sein. Niedermann führte bis im Frühjahr dieses Jahres im Aarauer Ochsengässli eine Zahnarztpraxis.
Ende Juli, sagt P. A., sei ihm ein Schreiben seines Zahnarztes ins Haus geflattert, in dem Niedermann schrieb, er übergebe die Praxis per 1. März 2015 an Dr. Herbert Hatzlhoffer und er bitte die Patienten, ihr Vertrauen künftig diesem zu schenken.
Auf der unteren Hälfte des Blattes liess Niedermanns designierter Nachfolger die Patienten wissen, dass das Aufgebot für die regelmässigen Untersuchungen künftig von seiner Praxis aus erfolgen werde. Wer das Schreiben aufmerksam durchlas, stellte fest, dass Hatzlhoffer als Adresse nicht das Ochsengässli, sondern die Bahnhofstrasse 94 angab. Dort hatte er sich inzwischen mit seinem Zahnimplantat-Center «Aargauer Zahn-Oase» bei einer Physiotherapeutin eingemietet.
In der ersten Septemberhälfte bekam P. A. erneut Post aus der Zahn-Oase: «Es ist wieder Zeit für Ihre regelmässige Zahnreinigung, Kontroll- oder Vorsorgeuntersuchung! Da ich die Patienten, die ein Aufgebot haben wollten, von Dr. Heinz Niedermann übernommen habe, erlaube ich mir, Sie daran zu erinnern.» Der Patient sei gebeten, mit seiner Praxis einen Termin zu vereinbaren.
Etwa eine Woche später fiel P. A. aus allen Wolken, denn nun wollte ihn auch eine Praxis in Rupperswil zur Kontrolle aufbieten. Die im Frühjahr 2015 eröffnete «Zahnmedizin Rupperswil» gehört zum Unternehmen von Dr. Zoltàn Hunyady.
Dieser betreibt schon seit Jahren in Zürich und Baar Zahnarztpraxen. «Wir sind die richtigen Nachfolger von Dr. Niedermann», erklärte die Assistentin am Telefon dem verblüfften P. A. Wer auf die Nummer der Praxis von Dr. Heinz Niedermann anruft, wird automatisch nach Rupperswil umgeleitet.
Wie kommt es dazu, dass sich zwei Praxen um die gleichen Patienten reissen? Die Antwort kennt in erster Linie Heinz Niedermann. Auf die Frage, ob er Herbert Hatzlhoffer als Nachfolger bestimmt habe, antwortet er mit Nachdruck: «Nein, nein, nein!» Aber das Ganze sei eine komplizierte Geschichte: Hatzlhoffer habe seine Praxis im Ochsengässli übernehmen wollen. Doch das habe sich dann zerschlagen. Hatzlhoffer habe keinen Mietvertrag erhalten. Der verhinderte Nachfolger bestätigt: «Der Vermieter wollte nicht. Die Räume der Praxis sind umbaubedürftig und ich sagte: ‹Ich investiere nicht.›»
In der Folge überliess Niedermann seine Patientenkartei der Praxis in Rupperswil. Laut Dr. Zoltàn Hunyady wurde am 28. März der Schrank mit allen Behandlungsdaten und Röntgenbildern nach Rupperswil transportiert. Das ist auch Hatzlhoffer bewusst, der indessen betont, er selber habe die Akten nie gewollt. Wo auch immer diese lägen – einen Nachfolger von Heinz Niedermann gebe es gar nicht, denn dessen Praxis führe niemand weiter.
Patienten wie P. A. fragen sich nun: Hat Hatzlhoffer Niedermanns Unterschrift auf dem Schreiben gefälscht, mit dem die Patienten angeblich seiner Obhut anvertraut wurden? – Niedermann gibt zu verstehen, dass die Geschichte genau hier kompliziert werde: Untereinander seien sie sich ja einmal einig gewesen und hätten daher dieses Schreiben aufgesetzt. Nur sei dieses hinfällig geworden, weil Hatzlhoffer die Praxis nicht habe mieten können. Den Brief habe dieser dann trotzdem verschickt.
Niedermann hat deswegen bei der Schweizerischen Zahnärztegesellschaft (SSO) Beschwerde gegen Hatzlhoffer eingereicht.
Regula Hunziker von der Aargauer Sektion bestätigt das, macht aber klar, dass die SSO dafür nicht zuständig sei. Denn: «Herr Hatzlhoffer ist nicht Mitglied bei uns.»
Zuständig sei Kantonszahnarzt Dominik Burkart. Dieser wiederum verweist auf Balz Bruder, Kommunikationsleiter des kantonalen Departements Gesundheit und Soziales. Bruder macht deutlich, dass sich die Zuständigkeit des Departements auf aufsichtsrechtliche Fragen wie etwa die Einhaltung der Berufspflichten und das Vorhandensein der Bewilligungsvoraussetzungen beschränkt.
Im vorliegenden Fall gebe es keinen unmittelbaren Anlass, aufsichtsrechtlich einzuschreiten. Was die Nachfolgefrage angehe, handle es sich um einen Streit zwischen Zahnärzten, der leider auf dem Buckel der Patienten ausgetragen werde.
Falls Heinz Niedermann der Meinung sei, es liege etwas strafrechtlich Relevantes, eine betrügerische Handlung, eine Urkundenfälschung oder etwas Ähnliches vor, könne er gegen Herbert Hatzlhoffer Strafanzeige einreichen.
Dieser verteidigt sich: Rund 150 Briefe hätten Niedermann und er bereits unterschrieben gehabt. Dann sei er auf die Idee gekommen, dass man heutzutage Briefe samt den Unterschriften kopieren könne. Etwa 3000 Patienten habe Niedermann gehabt. Und Hatzlhoffer war bereits im Besitz der Adressen.
Von Niedermann, sagt er, habe er zwei Bücher mit handschriftlichen Eintragungen erhalten, die er digitalisiert habe. Da die Liste in Hatzlhoffers Hände gelangt ist, muss die Rupperswiler Praxis die Aufgebote nun anhand der Patientenkartei mühsam rekonstruieren, wie Zoltàn Hunyady durchblicken lässt.
Die Briefe mit beiden Unterschriften wurden laut Hatzlhoffer schon im Frühjahr verschickt. Patient P. A. hingegen sagt, das Schreiben habe erst «zirka letzte Juli-Woche» im Briefkasten gelegen. Zu einem Zeitpunkt also, da Niedermann längst nicht mehr auf Hatzlhoffer als Nachfolger setzte. P. A. bleibt auch auf erneute, gezielte Anfrage hin bei seiner Aussage: «Ich bin mir sicher, dass das Schreiben im Hochsommer bei mir eintraf, da ich zu diesem Zeitpunkt Ferien hatte.»
Hatzlhoffer, der von 2012 bis 2013 schon in Möhlin ein zahntechnisches Labor und anschliessend bis Mitte Februar 2015 in Magden – zusammen mit seiner Frau – ein Zentrum für Mesotherapie und Zahnmedizin unterhielt, versteht die Aufregung nicht.
Er zwinge ja niemanden, zu ihm zu kommen. Und auf Niedermanns Patienten sei er gar nicht angewiesen. Seine Praxis an der Bahnhofstrasse laufe nämlich «wunderbar». Zudem sei ihm eines immer klar gewesen: «Dass nicht alle zu mir kommen werden».