Aarau
«Wir können keine seichten Texte machen»

Drei Bandmitglieder von Šuma Čovjek über ihr neues Album, Quoten-Jugos und gefährliches Schubladendenken.

Nadja Rohner
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Hirn und Seele von Šuma Čovjek sind Manuel Wülser, Ivica Petrušić und Hafid Derbal (v.l.). Alex Spichale

Hirn und Seele von Šuma Čovjek sind Manuel Wülser, Ivica Petrušić und Hafid Derbal (v.l.). Alex Spichale

Alex Spichale

Montagmorgen im Büro. Teamsitzung, der Laptop ist am Lautsprecher angeschlossen. Ein falscher Klick – der Musikplayer geht los, Trompetenstösse dröhnen durchs Sitzungszimmer. Peinlich? Ja. Aber nur so lange, bis die Kollegin begeistert die Ausleihe der CD verlangt.

So geschehen mit «Babel», dem neusten Werk von Šuma Čovjek (kroatisch für Waldmensch). Dahinter stecken insgesamt zehn Musiker, aber Hirn und Seele der Band sind Komponist Manuel Wülser sowie die Sänger Ivica Petrušić und Hafid Derbal. Wir treffen sie zu Hause bei Manuel in Aarau. Komponiert, getextet und gebrütet wird im Keller. Der Weg führt vorbei an der Waschküche, am Windelständer trocknet die letzte Ladung. Der Raum ist winzig: Klavier, Gitarre, Stühle, ein Pult und drei gut gelaunte Musiker – viel mehr hat nicht Platz. An den Wänden hängen alte Plakate des Montreux Jazz Festival. Nur das «Babel»-Coverplakat muss vor dem Interview noch kurz aufgehängt werden. Es zeigt ein freundlich dreischauendes Männchen mit moosigem Gewand, ein Blatt als Bart, Wurzeln auf dem Kopf.

Die Sache mit den Schubladen

Um diese Wurzeln dreht sich vieles auf «Babel», und diese Wurzeln spielen auch in der Band eine zentrale Rolle. Die fricktalerisch-bosnisch-algerische Herkunft des Songwriter-Trios prägt ihr Schaffen. In «Babel» geht es um Heimat, Bewegung, Integration. Und darum, seine Wurzeln aufessen zu wollen. Das solle nicht das Gefühl des Daheimseins schmälern, betont Ivica Petrušić. Babel spreche einfach an, was viele Secondos beschäftigt, die sich mehreren Ecken der Welt verbunden fühlen: «Man wird auf Stereotype reduziert, in die eine oder andere Schublade gesteckt, muss sich für eine entscheiden, obwohl man in keine passt», so Ivica. «In der Musik können wir unsere Wurzeln in ihrer ganzen Vielfalt zeigen – das ist die Zukunft, und eigentlich wissen das alle.» Hafid pflichtet ihm bei: «Es ist das Entweder-Oder, das nervt. Das gefährliche Spiel, gerade Jugendliche in eine Schublade zwängen zu wollen.» Dabei sei Wurzeln schlagen etwas Schönes – «Aber Wurzeln sind nicht nur in Orten, sondern auch in Menschen, Geschichten, Liedern.»

So, wie Šuma Čovjek singen, so entstehen auch ihre Songs – und so verläuft das Interview. Sie spielen sich die Worte gegenseitig zu, ergänzen ihre Sätze, spielen mit den Sprachen. Was im Gespräch Aufmerksamkeit erfordert, verleiht den Songs das gewisse Etwas, eine spielerische Leichtigkeit. Die Melodien sind ausgesprochen mitreissend und fröhlich. Die Lyrics haben allerdings Tiefgang: «Wir können keine seichten Texte machen, auf der Welt passiert zu viel», sagt Ivica Petrušić. «Alles, was wir schreiben, bezieht sich auf aktuelle Diskurse.» Sogar im Song über nervige Fliegen geht es um Ablenkung, das Stück «Vie de tortue» handelt von jemandem, der sich bei jedem Gegenwind zurückzieht.

Die Inhalte der Lieder erschliessen sich aber wohl den wenigsten Zuhörer auf Anhieb: Alle Texte entlehnen ihre Worte aus verschieden Sprachen, oft wechseln sie sogar innerhalb der Strophen. Das hängt mit den beiden Sängern zusammen: Ivica stammt aus Bosnien, spricht Deutsch, Englisch sowie Serbokroatisch «und macht Ausflüge in die Roma-Sprache», wie er sagt. Hafid, der zwölf Jahre in Algerien aufgewachsen ist, bringt neben Arabisch und Algerisch auch Französisch mit (so unterhalten sich seine deutsche Mutter und sein algerischer Vater). Spanisch beherrschen die Musiker ebenfalls.

Das entstehende secondotypische Sprachen-Potpourri nennen die Musiker «Šuma-Čovjek-Esperanto». «Es folgt keiner Logik oder Grammatik, sondern der Schönheit der Sprache und Melodien.» Es ist World Music, die Šuma Čovjek heute spielen, «wir müssen nicht mehr alle Balkanpop-Klischees erfüllen», sagt Manuel. Denn anfangs war Šuma Čovjek eine reine Instrumental-Band, bestehend aus Profimusikern – alles ausnahmslos Schweizer -, die sich auf der Jazz-Schule kennen gelernt hatten und zusammen Balkanmusik spielten. Offenbar so authentisch, dass sie an Konzerten des Öfteren die Frage hörten, wer denn hier in der Band «der Jugo» sei. Dieser «Jugo», wenn man so will, stiess vor rund vier Jahren dazu, als Ivica mehr oder weniger zufällig in die Band kam.

Nächstes Album in Planung

Währen der Arbeit an «Babel» rutschte auch Hafid, der wie Ivica im Sozialbereich arbeitet, bei Šuma Čovjek irgendwie mit hinein. Erst nur für einen Song. «Dann wurden es immer mehr», erzählt Manuel. Er, der einzige Berufsmusiker des Trios, geniesst die Dynamik, die durch die ungewöhnliche Zusammensetzung entsteht. «Innert weniger Monate sind bereits sieben oder acht Songs entstanden, die noch gar nicht auf ‹Babel› zu finden sind. Man darf auf den Singlerelease 2016 gespannt sein und ein baldiges Album.»

Hafid Derbal seinerseits hat in Šuma Čovjek eine Heimat gefunden, wie er sagt. «Die Band hat viel dazu beigetragen, dass ich angekommen bin.» Und Hafid ist gerne hier, in der Schweiz, in Aarau. Deshalb sei ihm auch eine Last von den Schultern gefallen, als das Schweizer Stimmvolk im Frühjahr die Durchsetzungsinitiative bachab geschickt hatte. Nicht etwa, weil er kriminell wäre. «Seit fünf Jahren war das die erste Abstimmung, die zugunsten der Ausländer ausfiel», erklärt Hafid. Zugunsten jener, die ihre Wurzeln manchmal gerne aufessen würden, aber doch nicht ohne sie sein können.

Nächste Konzerte: 28. 5. KiFF, 29. 6. Schwanbar, Aarau.