Literatur
Von einem, der sexsüchtig wird

Roland Heer, Lehrer an der Alten Kanti Aarau, spricht über sein brisantes Buch «Fucking Friends».

Daniel Vizentini
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Wenn ein Lehrer ein Buch herausgibt, ist das für die Schule ein Grund, stolz zu sein. Beim Titel «Fucking Friends» schreckt aber so mancher zurück, und der Inhalt ist nichts für Minderjährige. Bevor aber Vorurteile entstehen, erklärt Roland Heer, worum es in seinem Buch wirklich geht, was sein Ziel war und wie Lehrerkollegen und Schüler auf das Buch reagiert haben.

Ihr Buch handelt von Grenzerfahrungen, Trauer, Absturz und Internet-Kontaktplattformen. Wie sind Sie auf diese Themen gekommen?

Roland Heer: Mir ist aufgefallen, dass diese «Plattformwelten», diese Internetbörsen und Singlesites, ein Thema sind, welches literarisch noch gar nicht aufgegriffen worden ist, obwohl sich immer mehr Leute über solche Kanäle kennen und vielleicht sogar lieben lernen. Ich fragte mich dann, was ich für eine Geschichte in dem Zusammenhang machen könnte. Da kann mir das Hiob-Motiv aus dem alten Testament als Grundmuster in den Sinn: Einer, der in die totale Abwärtsbewegung gerät, Frau und Kind verliert, am Schluss aber doch noch belohnt wird. Eine Art moderner Hiob sollte es werden.

Gerade der Schluss des Buchs aber scheint ein bisschen abrupt...

Roland Heer: Das Hiob-Motiv verlangt nach einem solchen Ende. Der Verfallsprozess der Hauptfigur wird gegen Schluss beschleunigt und gerade deshalb wirkt dieser «Showdown» interessant. Vielleicht habe ich es gegen den Schluss hin aber auch einfach nicht mehr ausgehalten, den so entsetzlichen Verfallsprozess darzustellen.

Sie reden von den immer obszöner werdenden Handlungen im Buch. War das Schreiben darüber wirklich so schlimm?

Roland Heer: Der Protagonist ist ja nicht Roland Heer, sondern eine Kunstfigur. Und um die Idee mit dem Hiob umzusetzen, musste er eben ganz hinabstürzen. Das ist dann schon nicht angenehm, einen Menschen darzustellen, der so massiv ins Unappetitliche und Grässliche verkommt.

Können Sie demnach die Kritiker verstehen, die aussagen, es ekle sie, den Text zu lesen? In Anspielung an das Buch «Feuchtgebiete» bezeichnete ein Kritiker Ihr Buch auch als «Feuchtgebirge».

Roland Heer: Natürlich kann ich das. Das Buch hat sicher ekelhafte Passagen. Aber ich habe nicht auf einen Ekeleffekt abgezielt. Ich wollte beschreiben, wie einer in die Sexsucht hineingerät. Das scheint einem heute ja relativ verbreitet: Leute, die ihre Leere und Beziehungsunfähigkeit einfach stopfen mit militanter sexueller Aktivität. Das ist das «Zeitdiagnostische» an der Hauptfigur. Mir ging es aber in erster Linie um die Arbeit an der Sprache: Über Sex schreiben, ohne einfach platt pornografisch zu werden. Literarisch sollte es werden.

Ist Ihnen das gelungen?

Roland Heer: Ja, ich finde schon. Klar wird man rasch auf die Pornoschiene gedrängt. Aber Pornografie, so verstehe ich diesen Begriff, ist das Trennen von Inhalt und Form. Der Inhalt – was Leute für Regungen und Gefühlen haben – ist in Pornos völlig irrelevant. In meinem Roman wird aber gezeigt, wie die Hauptfigur als missglückte Trauerbewältigung ihre Leere nach dem Verlust von Frau und Kind mit Sex zu füllen versucht. Insofern ist das dann nicht Pornografie, weil Inhalt und Form zusammenkommen.

Haben Sie in diesen Internet-Kontaktbörsen recherchiert?

Roland Heer: Natürlich. Man findet da wirklich unglaubliche Sachen. Zudem hat es mich tatsächlich interessiert, ob man auf diesem Weg jemanden kennen lernen kann. Ich habe mich vor sieben Jahren von meiner Familie getrennt und ich bin nicht der Typ, der in Bars und Discos geht.

Haben Sie sich auch eingeschrieben auf solchen Sites und sich mit einer Frau getroffen?

Roland Heer: Oh ja, klar, nicht nur mit einer.

Wurden Sie auch fündig?

Roland Heer: Nein. Die Freundin, mit der ich jetzt zusammen bin, habe ich nicht über das Internet kennen gelernt.

Sie sagen, die Hauptfigur des Buchs sei nicht Sie, aber zwischen ihr und Ihnen gibt es klare Parallelen, wie zum Beispiel das Bergsteigen. Ist das die einzige?

Roland Heer: Es gibt natürlich Parallelen zwischen uns, das ist klar. Mit dem spiele ich auch ein wenig. Es ist spannend, Zutaten aus dem eigenen Leben in ein Buch einzubringen. Weil ich den Roman immer neben dem Schulegeben verfasst habe, hatte ich auch nicht die Zeit, mich kundig zu machen in mir ganz fremden Welten. Das Bergsteigen fand ich zudem passend, da es auch um Extremsituationen geht. Die Hauptfigur versuchte früher, sich durch riskante Kletteraktionen zu heilen, und so versucht sie es jetzt mit sexuellen Aktivitäten. Das kann natürlich nicht funktionieren.

Haben Sie denn keine Befürchtungen, Ihre Schüler oder Lehrerkollegen könnten denken, Sie seien wie Ihr Protagonist?

Roland Heer: Oh ja, natürlich. Ich bin Mittelschullehrer und Vater und hatte immer wieder Bedenken, ob ich dies und jenes jetzt wirklich schreiben kann. Aber mein Gott, das ist ein Roman, eine Fiktion, und ich bin keineswegs wie die Hauptfigur.

Wie waren die Reaktionen Ihrer Lehrerkollegen auf das Buch?

Roland Heer: Sie fanden es umwerfend, toll, aber auch erschütternd und verstörend. «Eine wunderbare Sprache» habe ich mehrmals gehört. Es ist sicher keine Schulliteratur, aber nicht jedes Buch, das herausgegeben wird, muss das sein. Und ich meine, nur weil ich Deutschlehrer bin, muss ich ja keine Bücher schreiben, die man im Deutschunterricht behandeln kann.

Völlig empört trat Ihnen niemand entgegen?

Roland Heer: Nein, oder die Leute sagen es mir dann eben nicht. Es ist mir klar, dass das ein ziemlich riskantes, ich meine aber auch mutiges Buch ist. Ich habe in Bereiche vorzustossen versucht, die auch heute noch Empörung und Entsetzen auslösen können.

Wollten Sie provozieren?

Roland Heer: Nein. Ich finde einfach, Sexualität ist ein Bereich, der massiv zum Menschen gehört. Und heute, da die Übersexualisierung auf so vielen Ebenen sichtbar ist, kann man das auch thematisieren.

Und wenn die Kanti eine Lesung in der Schule vorschlagen würde?

Roland Heer: Ich glaube nicht, dass das vorgeschlagen wird. Das fände ich eine unnötige Verbindung. Für einen Gymilehrer ist es schon nicht das typische Buch.

Finden Sie in der Schule auch Inspiration?

Roland Heer: Oh ja. Schiefe Formulierungen aus Schüleraufsätzen, die wiederum fast poetisch sind, haben auch schon den Weg in meine literarischen Projekte gefunden.

Gibt es Schüler, die das Buch gelesen haben oder am Lesen sind?

Roland Heer: Ich war im Sozialeinsatz mit einer Klasse, und da hat mir eine 19-jährige Schülerin erzählt, sie sei es am Lesen und sie lese sich alles laut vor, weil sie es so schön findet. Das hat mich natürlich gerührt, auch wenn es mir merkwürdig schien.

Das Buch strotzt aber nicht gerade vor schönen Passagen...

Roland Heer: Ich finde schon. Das ist Geschmackssache. Und über die Berge hat es auch schöne beschreibende Passagen. Ich hoffe eigentlich sehr, dass die Sprache und das Innovative an der Sprache öffentlich zur Kenntnis genommen werden und das Buch nicht einfach in die Porno-Schublade gelegt wird.

Mit Ihren Schülern haben Sie über das Buch gesprochen?

Roland Heer: Ich habe den Schülern, schon bevor das Buch herausgekommen ist, gesagt, dass ich es mir gut überlegen würde, sich solch ein Buch anzutun in dem Alter, in dem sie sind. Aber man kann ja nichts verbieten. Sonst möchte ich mit meinen Schülern nicht darüber reden. Das Autor-Sein und das Lehrer-Sein trenne ich.