Bundesgericht
Urteil aufgehoben: Landesverweis für Schnapsdieb mit langem Sündenregister unsicher

Das Aargauer Obergericht muss sich nochmals mit einem Eritreer befassen, der im Herbst 2017 ins Restaurant Mürset in Aarau einbrach. Das hat das Bundesgericht entschieden.

Manuel Bühlmann
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Das Bundesgericht in Lausanne gibt der Einschätzung des Beschuldigten recht – zumindest teilweise.. (Archivbild)

Das Bundesgericht in Lausanne gibt der Einschätzung des Beschuldigten recht – zumindest teilweise.. (Archivbild)

KEYSTONE/LAURENT GILLIERON

Die Stadtpolizei Aarau ertappte die vier Einbrecher damals auf frischer Tat. Abgesehen hatten es die betrunkenen Eritreer in jener Nacht im September 2017 auf alkoholische Getränke. Sie stiegen auf das Flachdach des Restaurants Mürset, schlugen eine Scheibe ein und nahmen Flaschen im Wert von 260 Franken mit. Noch am Tatort wurde das Quartett verhaftet.

Das Bezirksgericht Aarau sprach einen der vier Eritreer im Februar 2018 wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs schuldig. Weil der damals 20-jährige Mann vorbestraft war, wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Dazu verwies ihn das Gericht für sechs Jahre des Landes. Das Aargauer Obergericht reduzierte später die Freiheitsstrafe für den Dieb um zwei Monate, die Dauer des Landesverweises um ein Jahr. Der Beschuldigte zog den Entscheid weiter; vor Bundesgericht wehrt er sich gegen den Landesverweis.

Dieser Teil des Urteils hätte nicht angeordnet werden dürfen, argumentierte er dort. Als anerkannter Flüchtling könne er gar nicht des Landes verwiesen werden. Dies müsste bereits von den Gerichten und nicht erst beim Vollzug berücksichtigt werden, findet der Eritreer.

Dieser Einschätzung stimmt das Bundesgericht zumindest teilweise zu, wie aus dem jüngst veröffentlichten Urteil aus Lausanne hervorgeht. Demnach müsse sich bereits das Strafgericht und nicht erst die Vollzugsbehörde mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Landesverweis trotz Vollzugshindernissen – beispielsweise das Verbot von Ausschaffungen in bestimmte Staaten – verhältnismässig sei.

Landesverweis ist auch für Flüchtlinge möglich

Zwar müssten die Gerichte jene Umstände beachten, die möglicherweise verhindern, dass ein verurteilter Täter ausgeschafft werden könne. An die Adresse des Eritreers gerichtet, heisst es im Urteil aber auch: «Jedoch muss das Gericht – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – bei Vorliegen eines solchen Umstands nicht zwingend auf die Anordnung einer Landesverweisung verzichten.»

Der aktuelle Entscheid zeigt: Das Bundesgericht will mit seinem Urteil verhindern, dass ein Landesverweis im Voraus schon ausgeschlossen wird, obwohl die Rückkehr in einen Staat aufgrund einer veränderten politischen Lage in Zukunft wieder möglich werden könnte.

Der Grund, warum der Eritreer mit der Beschwerde in Lausanne erfolgreich ist, liegt im Vorgehen des Aargauer Obergerichts. Die Vorinstanz hatte die Flüchtlingseigenschaft bei der Verhältnismässigkeitsprüfung der angeordneten Landesverweisung nicht berücksichtigt. «Dies hätte sie aber nach dem Gesagten tun müssen und die Prüfung des Rückweisungsverbots nicht auf die Vollzugsbehörden abschieben dürfen», hält das Bundesgericht fest. Es fügt aber sogleich an: Ein Vorwurf dürfe den Oberrichtern deswegen nicht gemacht werden. Denn die zentralen bundesgerichtlichen Entscheide zu dieser Frage seien erst nach ihrem Urteil gefällt worden.

Klarer Auftrag aus Lausanne ans Obergericht

Letzteres wird trotzdem aufgehoben, weshalb sich das Obergericht nochmals mit dem Fall befassen muss. Der Auftrag ist klar: Der angeordnete Landesverweis soll auf seine Verhältnismässigkeit überprüft werden. Dabei gehe es insbesondere um die Frage, ob und weshalb sich an den Gründen, aus denen dem Eritreer Asyl gewährt worden ist, «aller Vernunft nach» in den kommenden fünf Jahren nichts ändern wird. Nur wenn der Landesverweis unter Berücksichtigung der Umstände als unverhältnismässig erscheine, dürfe von dessen Anordnung abgesehen werden. Und, mahnt das Bundesgericht, ein Verzicht solle «nach ausdrücklichem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich die Ausnahme bleiben».

Hinweis

Bundesgerichtsurteil 6B_423/ 2019 vom 17. März 2020.