Vom Vergraulen von Sozialhilfebezügern hält der Gemeinderat von Suhr nichts. Er setzt auf das Gegenteil: Integration. Und er will verhindern, dass Menschen überhaupt erst in die Sozialhilfe abrutschen.
Gemeinde und Städte ächzen unter der finanziellen Belastung der Sozialhilfe, die Ausgaben fressen immer tiefere Löcher in die Budgets. Während die einen Gemeinden Sozialhilfebezüger loswerden wollen, indem sie potenzielle Wohnungen abreissen lassen oder Vermieter anweisen, keine Wohnungen an Sozialhilfeempfänger abzugeben, schlägt die Gemeinde Suhr ganz neue Wege ein: Sie will durch gezielte Quartierentwicklung verhindern, dass die Bewohner überhaupt erst in die Sozialhilfe abrutschen.
«Wir wollen weder die Faust im Sack machen noch die Sozialhilfebezüger vertreiben. Für uns ist die Gemeindesolidarität ein wichtiges Gut, also handeln wir», sagt Gemeinderat Daniel Rüetschi, zuständig fürs Ressort Soziales und Gesundheit. Er hat die Bevölkerung am letzten Informationsforum über diese Pläne orientiert.
«Kein Ausländerproblem»
In Suhr liegt die Sozialhilfequote mit 3,2 Prozent der Bevölkerung über dem kantonalen Durchschnitt von 2,0 Prozent. Heute sind es über 350 Personen, für die die Gemeinde zum Teil aufkommen muss. Das belastet die Gemeindefinanzen stark: 2013 waren es 1,8 Millionen Franken, Tendenz steigend.
Zusammen mit weiteren grossen Brocken, beispielsweise gebundenen Beiträgen an den Kanton, Leistungen an Familien, dem Wohnen im Alter, der Alimentenbevorschussung, der Jugendarbeit und den familienergänzenden Tagesstrukturen, macht der Bereich Soziales mehr als ein Viertel der gesamten Nettoausgaben der Gemeinde aus. Gleichzeitig liegt der Ertrag der Suhrer Steuerzahler 20 Prozent unter dem Bezirks-Durchschnitt. «Soll der Steuerfuss bei 105 Prozent bleiben, müssen wir wenigstens die Ausgabenzunahmen stoppen», so Rüetschi.
Besonders betroffen sind drei Quartiere: Im Frohdörfli mit 300 Bewohnern aus 33 Nationen liegt die Sozialhilfequote bei über zehn Prozent, hier bezahlt die Gemeinde jährlich allein 200 000 Franken Mietkosten. Dazu kommen die Wynenmatte und das Gebiet im Feld entlang der Tramstrasse.
Auch wenn in diesen Quartieren der Ausländeranteil sehr hoch ist, hält Rüetschi fest, dass das Sozialhilfeproblem kein Ausländerproblem ist: «Die Verteilung zwischen Ausländern und Schweizern schwankt sehr stark.» Dies auch deshalb, weil die Mehrheit der Betroffenen nur über kurze Zeit Sozialhilfe bezieht: Rund 65 Prozent beziehen sie bis zu einem Jahr, 20 Prozent zwei Jahre lang.
Arbeitgeber einbinden
Bei diesen drei Quartieren will Suhr nun mit einer positiven Entwicklung beginnen, die nach und nach die ganze Gemeinde umfassen soll. Indem die Gemeinschaft gestärkt wird, erhofft sich der Gemeinderat, die Maschen des sozialen Netzes zu verengen. Weit über 100 Projekt-Ideen sind bereits vorhanden, sagt Rüetschi.
So soll beispielsweise beim Asylzentrum an der Südallee ein Integrationsspielplatz entstehen, den die Asylbewerber und die Quartierbewohner gemeinsam bauen. Ein Spiel- und Begegnungsspielplatz ist auch beim Frohdörfli geplant. Weiter bestehe bereits ein Konzept für das Projekt «Suhr, e suberi Sach», bei dem auch Arbeitslose oder IV-Bezüger mithelfen können, Suhr sauber zu halten.
Dazu kommen Ideen für Deutschkurse, Schul- und Arbeitsprojekte, denn in das Projekt eingebunden werden sollen nebst der Bevölkerung auch die Schule, Vereine und Arbeitgeber. «Die Sozialhilfebezüger sind nicht einfach Kostenfaktoren, sondern haben auch Ressourcen, die man nutzen kann», sagt Rüetschi. Das Projekt will sich die Gemeinde auch etwas kosten lassen. Noch gibt es keine konkreten Zahlen, aber Rüetschi sagt: «Günstig wird das nicht.» Einen Kredit für eine Pilotphase will der Gemeinderat an die Sommergmeind im Juni 2015 bringen.
Ein Konzept schaffen
Tönt das nicht alles zu schön, um wahr zu sein? «Vielleicht ist es naiv, zu glauben, so den Ausgabenanstieg zu stoppen, ja», sagt Rüetschi. «Aber wir wissen es schlichtweg nicht.» Jetzt gelte es, aus diesen ersten Skizzen ein Konzept zu schaffen, gemeinsam mit der Bevölkerung.
Deshalb informiert Rüetschi auch in diesem sehr frühen Stadium: «Wir werfen der Bevölkerung ganz unvermittelt einen Knochen hin, das ist uns bewusst. Jetzt liegt es an uns allen, so viel Fleisch an den Knochen zu bringen, dass die Gmeind ihn auch schluckt und nächsten Sommer das Geld für das Pilotprojekt spricht. So wie bereits 2012 für das Pilotprojekt zu den familienergänzenden Tagesstrukturen.»
Suhr erfindet mit seinen Plänen das Rad nicht gänzlich neu: Der Bund beispielsweise hat das Programm «Projets urbains» ins Leben gerufen, das Projekte zur Integration unterstützt. Dabei steht die Mitarbeit der Bewohner im Zentrum. An diesem Programm beteiligt sind unter anderem Spreitenbach, Aarburg, Olten, Pratteln und Schlieren.
In Suhr wolle man sich aber nicht dem nationalen Programm anschliessen, sagt Rüetschi: «Wir wollen selber etwas aufbauen und nicht vom Bund abhängig sein.» Das Projekt wird jedoch von einer Begleitgruppe unterstützt, in der auch der Kanton vertreten ist.