Der Kanton verlangt von Suhr, nicht mehr nur niederschwellige Sprachtreffs, sondern auch Sprachkurse mit Abschluss anzubieten. Das tut die Gemeinde nun, zieht sich im Gegenzug aber aus dem Netzwerk Miteinander zurück. Ein herber Schlag für die Freiwilligen, wie eine von ihnen an der Gemeindeversammlung kundtat.
Es war eine emotionale Wortmeldung zum Schluss der Suhrer Gemeindeversammlung: «Ich war immer stolz, dass es in Suhr ein solches Projekt gibt», sagte Heidi Stutz, Freiwillige im Projekt Sprachtreff. Und: «Wir sind vor den Kopf gestossen, hatten wir doch immer zu hören bekommen, dass unser Angebot eine gute Sache sei.» Der Gemeinderat solle den Rückzug aus dem Projekt noch einmal überdenken, drohe das Angebot doch so zu kollabieren. Gemeinderat Daniel Rüetschi wiederum erwiderte, es sei kein einfaches Thema, weshalb er hier und jetzt auf weitere Ausführungen verzichte.
Das Thema ist tatsächlich nicht ganz einfach. Doch der Reihe nach: Seit Herbst 2016 bietet das Netzwerk Miteinander Sprachtreffs an; ein niederschwelliges Angebot, getragen von der Gemeinde und den beiden Landeskirchen, ausgeführt von aktuell rund 18 Freiwilligen. Während eineinhalb Stunden wird Deutsch oder Schweizerdeutsch gesprochen. Gefördert wird damit nicht nur die Sprachkompetenz, sondern auch das Kennenlernen der hiesigen Kultur sowie der soziale Austausch. Das Angebot richtet sich an alle fremdsprachigen Suhrerinnen und Suhrer und ist kostenlos.
Inzwischen werden jede Woche sechs solcher Treffs abgehalten; zwei Kurse im Länzihus (reformiertes Kirchgemeindehaus), einmal im Nachbarschaftshaus an der Bachstrasse, einmal in der katholischen Pfarrei und zwei Kurse im «Suhrrli», dem Familientreffpunkt und Nachbarschaftshaus am Schützenweg. An drei Treffen gibt es eine Kinderbetreuung. Im Schnitt wird jeder Kurs von acht Personen besucht, vor allem von Frauen mit kleinen Kindern.
Ein gutes und wichtiges Angebot, da sind sich alle einig. Natürlich auch die Gemeinde, wie ihr Kommunikationsverantwortlicher, Pascal Nater, auf Anfrage sagt. «Entsprechend verständlich ist deshalb auch die erste entrüstete Reaktion auf die Ankündigung der Gemeinde, sich aus dem Netzwerk zurückziehen zu wollen.» Das Aus bedeutet dies aber nicht: Der Sprachtreff wird im Länzihus, im Nachbarschaftshaus und im katholischen Kirchgemeindehaus weiterhin stattfinden, getragen von den Landeskirchen.
In Suhr gibt es Stand heute nur Sprachtreffs. Also keine offiziellen Sprachkurse mit Zertifikaten, wie sie für den Arbeitsmarkt gewünscht sind; entsprechende Kurse müssten in Aarau besucht werden. Aus Sicht des Kantons ein Manko: Dieser hat im Rahmen des Kantonalen Integrationsprogramms (KIP) die Suhrer Sprachtreffs finanziell gefördert, möchte nun aber, dass auch Suhr offizielle Sprachkurse anbietet. Mit der Wichtigkeit solcher Angebote hat der Regierungsrat auch argumentiert, als er Mitte November KIP 3 mit einem um 700'000 Franken auf 7,9 Millionen Franken erhöhten Verpflichtungskredit in die Vernehmlassung geschickt hat: «Der heutige Arbeitsmarkt verlangt oft bessere Sprachkenntnisse, was mit weitergehenden Kursen berücksichtigt werden soll. Um die steigende Nachfrage zu decken, sollen mehr und intensivere Deutschkurse angeboten werden.»
Ein erster Sprachkurs wird im Frühjahr 2023 starten, organisiert von einem externen Anbieter mit zertifizierten Lehrpersonen. «Dieser Kurs findet jeweils am Dienstag- und Freitagmorgen im Suhrrli statt, mit Kinderbetreuung», sagt Pascal Nater. Hätte die Gemeinde keine Sprachkurse angeboten, hätte der Kanton seine Beiträge reduziert. Deshalb hat die Gemeinde darauf verzichtet, einen Antrag auf Finanzierung der Sprachtreffs zu stellen, und bietet stattdessen Sprachkurse an. «Unter dem Strich zahlt der Kanton ab 2023 nun mehr an die sprachliche Integration in Suhr als heute», so Nater. Der Beitrag an die Gesamtkosten, den Teilnehmende leisten müssen, beläuft sich auf 400 Franken. Bei Sozialhilfebezügern kann die Gemeinde für den Betrag aufkommen beziehungsweise der Kanton im Rahmen der Integrationspauschale.
Eine weitere Folge des neuen Kurs-Angebots: Der Platz im Suhrrli, der schon heute knapp ist, reicht nicht mehr. «Deshalb kann die Gemeinde den Raum für den Sprachtreff nicht mehr zur Verfügung stellen», so Nater. Ein schmerzlicher Verlust für das Netzwerk, das nun befürchtet, dass der lange Weg die Teilnehmenden aus dem südlichen Dorfteil davon abhalten könnte, die Treffs zu besuchen.
«Seitens Gemeinde ist das Verständnis für die Freiwilligen des Netzwerkes gross», sagt Nater. Aber man sei bestrebt, eine Lösung zu finden, wie die Gemeinde das Netzwerk weiterhin unterstützen könnte. «Wir werden uns mit den Sprachtreffs zeitnah austauschen, um eine gute Lösung für alle zu finden.»