Aarau
Strassenmusiker: «Leben? Das ist keines!»

Robert Partel ist Strassenmusiker und spielt oftmals in der Aarauer Vorstadt. Warum er nicht Strassenmusiker sein will, für seine Söhne es aber trotzdem ist.

Elia Diehl
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Strassenmusiker Robert Partel spielt in der Aarauer Vorstadt. EDI

Strassenmusiker Robert Partel spielt in der Aarauer Vorstadt. EDI

Elia Diehl

Er tritt gegen den verbeulten Futternapf. Es scheppert, Münzen rollen über die Pflastersteine. Der junge Mann in Anzug, mit Designer-Sonnenbrille und Benetton-Einkaufstasche übergeht den Hund auf der Decke mit einem grossen Schritt unbeirrt.

Gitarre und Mundharmonika von Robert Partel verstummen abrupt. Der rundliche Strassenmusiker hebt sich langsam vom Hocker und beugt sich aus dem Hausschatten in der Aarauer Vorstadt vor: Liegenden Hund streicheln; Münzen einsammeln; Blechschale und gelbes Badeentchen mit grünem Hut wieder fein säuberlich ausrichten.

Das aufgequollene, gerötete Gesicht des 42-jährigen Tschechen ist regungslos. Auch als er sanft und anmutig mit Bob Dylans «Blowing in the Wind» fortfährt: «How many times can a man turn his head, and pretend that he just doesn’t see?»

Er ist es sich gewohnt, übersehen zu werden

Robert Partel ist es sich gewohnt, übersehen zu werden. Er drängt sich nicht auf. Wird er doch wahrgenommen, so weicht der Blick der Leute oft aus, flüchtet zu Boden, zum gelben Rollkoffer oder zum Hund.

Es ist ein warmer, sonniger Junitag. Der Sommer ist die Zeit der Strassenmusiker. Mit dem vielen Regen sind sie aber verschwunden, auch Robert Partel. «Ich verdiene nichts», sagt er, es reiche knapp fürs Essen. Sein Blick wird leer. Denn eigentlich sammelt er für etwas viel Wichtigeres.

Ein Mädchen starrt fasziniert, zerrt an der Hand der Mutter, die weiter möchte. Der Tscheche bekommt einen Zweifränkler; er nickt.

Beim Weggehen schaut das Kind immer wieder über die Schulter zurück. Weniger Zuspruch bekommt Partel von Erwachsenen. Zwei junge Frauen – in den Ellenbögen mehrere Taschen teurer Läden – gehen achtlos vorbei. «Er sollte besser arbeiten gehen», sagen sie, «nicht unser Problem.»

«Mehrmals täglich werde ich so beschimpft», sagt Robert Partel. Warum er das mache, «wollen sie aber nicht hören». Er stottert. Es passt gar nicht zum geschmeidigen Gesang des arbeitslosen Klempners aus Karlsberg.

Nun bereiten ihm die Worte Mühe; er kratzt sich an der Schläfe, die Fingerkuppen sind mit dicker Hornhaut überzogen, in denen die Gitarrensaiten schwarze Gräben hinterlassen haben. Gerade hat er die Medikamente gegen Epilepsie und Depression genommen. «Jetzt zwanzig Minuten», sagt er, kippt seinen Kopf zur Seite auf die aufeinandergelegten Hände, «müde.» Er steht auf: «Spazieren mit Hund.»

Der Hund ist bloss eine Masche

«Danke Chefin Lidia.» Die Verkäuferin der nahen Modeboutique bringt Kaffee und einen Teller Joghurt für den 17-jährigen Hund. Oft hört der Obdachlose, der Hund sei bloss eine Masche. «Nein, bitte», er zittert, kämpft mit den Tränen, «ich liebe Bara!» Wäre er alleine, würde er wahnsinnig. Seit bald drei Jahren lebt der gläubige Katholik auf der Strasse. Es setzt ihm zu, psychisch und physisch. Vom stundenlangen Sitzen hat er Wasser in den Beinen. «Ich würde sofort wieder arbeiten», sagt er traurig, aber wer wolle schon einen Kranken beschäftigen. Eine Rente erhalte er auch nicht. «Strassenmusik ist zehnmal strenger.»

Robert Partel sammelt für seine 10- und 15-jährigen Söhne. Sie leben in Karlsbad, das Einkommen der Mutter reicht knapp für die Miete. Drei Wochen ist Partel jeweils in Süddeutschland und der Schweiz unterwegs, dann kehrt er für wenige Tage heim. Wenn seine Kinder ausgelernt sind und Arbeit gefunden haben, macht er Schluss. Langsam zieht Robert Partel mit dem Finger über seine Kehle. «Das ist kein Leben, das hier!»