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Das Bezirksgericht Aarau hat einen 22-jährigen Mann verurteilt, der vor zwei Jahren mit einem minderjährigen Mädchen schlief, ohne nach ihrem Alter gefragt zu haben.
Müssen sich Jugendliche einen Ausweis zeigen, bevor Sie miteinander schlafen? Notfalls ja, befand das Aarauer Bezirksgericht und verurteilte einen heute 22 Jahre alten Mann zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse.
Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau warf Andri (alle Namen geändert) vor, in zwei Fällen Sex mit Kindern unter 16 gehabt zu haben. Im ersten Fall ging es um ein heute 16 Jahre altes Mädchen aus dem Bezirk Kulm. Zum Tatzeitpunkt vor zwei Jahren war Andri 20, Julia 14 Jahre alt. Julia verabredete sich am Samstagabend vor Weihnachten 2014 mit ihrer besten Freundin Martina am Bahnhof Aarau. Sie trafen Martinas Ex-Freund Gianni und dessen Freund Andri, den Beschuldigten.
Wie die Staatsanwaltschaft rekonstruierte, bat Martina ihre Freundin Julia, Andri Gefühle vorzuspielen. Dann sollte sie ihn fallen lassen – als Rache an einem Kollegen Andris, der sie gekränkt hatte. Die vier fuhren zu Andris Wohnung. Auf dem Weg hatten die beiden Mädchen an einer Tankstelle Wodka gekauft, es wurde getrunken. Andri verstand sich gut mit Julia, sie küssten sich. Um drei Uhr morgens gingen die beiden in sein Schlafzimmer und zogen sich aus. Julia sagte zwar, dass sie keinen Sex haben möchte, willigte schliesslich aber doch ein. Die beiden schliefen miteinander, Julia zeigte Andri später wegen Vergewaltigung an.
Den Vorwurf der Vergewaltigung liess die Staatsanwaltschaft schon nach den Zeugenanhörungen fallen. Andri wurde aber beschuldigt, mit der 14-Jährigen geschlafen zu haben, ohne sich über ihr genaues Alter zu informieren. In einem weiteren Fall soll er wiederholt mit der 15 Jahre alten Vanessa geschlafen haben, die 2015 während rund drei Monaten seine Freundin war. Mehrfache sexuelle Handlung mit Kindern lautete deshalb die Anklage.
Gerichtspräsident Andreas Schöb machte bei der Verhandlung am Montag klar, dass es nur noch um die Frage des Alters der beiden Mädchen ging, nicht mehr um die sexuellen Handlungen an sich. Die Anhörung war auf am Montag verschoben worden, weil die beiden Mädchen zum ersten Prozesstag im Juni nicht erschienen waren. Das sei ein Missverständnis gewesen, erklärte Julias Mutter.
Schöb befragte die jungen Zeuginnen behutsam, aber bestimmt. Beide gaben zu, dass sie bei ihrem Alter und ihrem Lebenslauf gelogen haben. Julia tat es «kaltblütig», um ihrer Freundin Martina bei ihrem persönlichen Rachefeldzug zu helfen, wie es Andris Verteidigerin im Plädoyer formulierte.
Im Fall Julia sprach das Gericht Andri frei. Er habe in der einmaligen Situation dieser Nacht nicht wissen können, dass Julia erst 14 ist. Julia wirke deutlich älter und hatte behauptet, 17 oder 18 zu sein – wie alt genau, wusste sie an der Verhandlung auch nicht mehr. Ausserdem war sie stark geschminkt, trank harten Alkohol und behauptete auch, dass sie bereits eine Arbeitsstelle habe.
Im Fall Vanessa sprach das Gericht Andri schuldig. Mit ihr war er 2015 über drei Monate zusammen. Seither hat sie den Angeklagten nicht mehr gesehen. Obwohl auch sie nicht mehr so genau wusste, was sie ihrem damaligen Freund so alles über sich erzählte, gab sie zu, dass sie bei ihrem Alter gelogen habe. Sie schlief mehrmals mit Andri und behauptete stets 16, 17 oder 18 zu sein. Die beiden hatten sich über die Dating-App Lovoo kennen gelernt, auf der das Mindestalter 16 gilt.
Gerichtspräsident Schöb erachtete in diesem Fall die Schuld des Angeklagten als schwerwiegender als Vanessas Lügen. «Es reicht nicht, nur einmal nach dem Alter zu fragen. Sie hätten näher hinschauen und besser nachfragen müssen», sagte er bei der Urteilsverkündung zu Andri.
Weil dieser in Kauf nahm, dass Vanessa minderjährig war und er von ihrem Vater auch darauf hingewiesen worden war, verurteilte ihn das Gericht zu 150 Tagessätzen à 90 Franken und einer Busse über 3500 Franken. «Sie hätten sagen sollen, dass Sie ihr genaues Alter wissen wollen und einen Ausweis verlangen», so Schöb.