Ein parteiloser Pianist will die Gemeinde mit seiner Vision verändern. Wer ist der Mann, der als Neuer den Ammann-Posten von Rupperswil erobern möchte?
Lange, lange hatte es so ausgesehen, als wäre Vizeammann Mirjam Tinner bei ihrer Bewerbung um den Rupperswiler Ammann-Posten konkurrenzlos. Doch dann, im letzten Moment, hat sich Reto Berner (39) angemeldet. Ein Neuer.
Die AZ trifft ihn vor «Berner’s Esswerk» unmittelbar beim Bahnhof. Hier hatten seine Vorfahren eine traditionelle Metzgerei, vier Generationen lang ist die Familie im Dorf gewerblich und landwirtschaftlich aktiv. Das Geschäft war schon «am Ende des Spannungsbogens angelangt», als Reto Berners Vater 2015 unerwartet verstarb. «Ich musste mich von einem Tag auf den anderen damit auseinandersetzen, was mit der Liegenschaft geschehen soll», sagt er. Ein Teil der Metzgerei ist nun ein Schnellrestaurant – «immer noch mit Frischfleischspezialitäten» –, der andere ein «Denner Partner». Mit Mutter und Schwester verwaltet Berner – ein Ortsbürger – mehrere familieneigene Liegenschaften im Dorf.
Dieser Weg war nicht vorgezeichnet. Nach der Schule in Rupperswil schloss Berner die Kanti mit Schwerpunkt Wirtschaft und Recht ab. Zum Studieren (Musik und Business) ging er, inspiriert von Fritz Renold («Jazzaar Festival», Aarau) in die USA ans Berklee College of Music in Boston, wo er ein Stipendium erhalten hatte. «Ich bin ausgebildeter Pianist und Komponist für zeitgenössische Musik – also alles ausser Klassik», erklärt er. Nach sechseinhalb Jahren in den USA und mehreren Stationen rund um den Globus kehrte er 2012 zurück ins Dorf. Dieses will er nun mitgestalten.
Berner ist, wie Mirjam Tinner, parteilos. Ihn politisch zu fassen, ist schwierig. «Ich bin bei keiner Partei mit allen Themen einverstanden.» Seine «Vision R1», die er auf seiner Website www.bernershome.com darlegt, umfasst grüne und grünliberale Themen («Rupperswil wird klimaneutral und produziert seinen gesamten Energiebedarf nachhaltig selbst»), er will aber auch «Wohn- und Arbeitsraum schaffen und erhalten» und das Gewerbe – politisch eher bürgerlich – stärker in die Entwicklung der Gemeinde einbinden. Auch für innovative Bildungsansätze will sich der Gemeinderat einsetzen. Alles auf kommunaler Ebene.
Die «Vision R1» umfasst hauptsächlich Inputs, konkrete Handlungsansätze müssten daraus erst erarbeitet werden. Dazu passt, wie Reto Berner sich beschreibt: «Ich komme von der kreativen Seite der Arbeitswelt. Jeden Morgen stehe ich mit zehn neuen Ideen auf – was nicht heisst, dass die von gestern vergessen sind. Ich bringe einer Gemeinde einen gewissen Vorwärtsschub.» Er wolle das Dorf weiterentwickeln, «die Tradition verbinden mit dem Schritt in die Moderne». Es sei ihm gar nicht so wichtig, ob er oder andere Menschen diese «Vision R1» umsetzen. Ihm gehe es um die Sache, nicht um seine Person.
Vor anderthalb Jahren wehrte sich Berner in den Medien gegen einen Entscheid der Rupperswiler Baubehörden betreffend der knalligen blauen Farbe einer seiner Liegenschaften. Und bei der Umbauplanung für die grosselterliche Liegenschaft an der Ausfallstrasse Richtung Autobahn seien die Gemeindebehörden ebenfalls nicht sonderlich kooperativ gewesen. Berner kritisiert: «Neue Ideen stossen auf Abwehr, weil sie nicht ins System passen. Man sucht zuerst die Probleme – und vermittelt dem Bürger danach nicht das Gefühl, dass man den gemeinsamen Lösungsweg sucht.»
Auf seiner Website schreibt Berner: «Ich stelle mir vor, dass meine Person – kreativer, schöpferischer, parteiloser, ungeduldiger, behinderter aber motivierter Jung-Unternehmer mit Sinn und Drang nach Entwicklung und modernen und innovativen Lösungen – für eine Mehrheit der Bevölkerung eher als nicht wählbar eingestuft wird. Ich habe dies im bisherigen Umgang bereits mehrfach schmerzlich zu spüren bekommen.»
Seine starke Sehbehinderung merkt man ihm im Umgang nicht an, man nimmt nur die dicken Brillengläser wahr. Aber Berner kann beispielsweise nicht Auto fahren, kein beschriebenes Blatt Papier lesen:
«Man sagte mir einst, es gäbe keine Berufe für mich. Aber ich wollte nicht ab 16 Jahren als IV-Rentner meine Tage auf dem Sofa verbringen.»
Irgendwie anders zum Ziel kommen, so laute sein Grundsatz, und so setze er Hilfsmittel und andere Sinne ein, obschon das energieraubend sei. «Alle paar Minuten gibt es ein Alltagsproblem, das Unbehinderten nicht bewusst ist. Ich finde aber für alles eine Lösung.»