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Das Aarauer Volk entscheidet über eine SP-Initiative, die preisgünstigeren Wohnraum anstrebt.
Die Einwohnergemeinde Aarau besitzt nur wenige Wohnungen. Etwas mehr gehören der Ortsbürgergemeinde. Letztere betreibt auch Arealentwicklung. Zum Beispiel in der Aarenau (siehe rechts unten). Doch es gibt keine aktive städtische Wohnbaupolitik. Braucht es die überhaupt? Ja, finden die Initianten der Initiative «Raum für alle – Ja zu bezahlbarem Wohn- und Gewerberaum!», über die das Volk am 26. November abstimmt.
Nein, der Markt würde verfälscht, meinen die Gegner. Dem befürwortenden Lager gehören die SP, die Grünen, der Gewerkschaftsbund, der Mieterverband und etwa auch die Caritas an. Dagegen sind alle bürgerlichen Parteien, der Gewerbeverband und der Hauseigentümerverein.
Dagegen ist auf Antrag des Stadtrates auch der Einwohnerrat: Mit 31 zu 15 Stimmen empfiehlt er Ablehnung der Initiative.
Was will die Initiative? Die Stadt soll auf dem Grundstück- und Immobilienmarkt eine aktive Rolle übernehmen. Etwa indem sie Wohn- und Gewerbeliegenschaften erwirbt und erstellt, die nach dem Prinzip der Kostenmiete bewirtschaftet werden. Kostenmiete bedeutet, dass nur die effektiven Kosten und die Rückstellungen für Investitionen verrechnet werden. Anders als private Investoren dürfte die Stadt keine Rendite erzielen. Sie soll sich einfach «aktiv für den Erhalt und die Erhöhung des Anteils von preisgünstigem und qualitativ hochwertigem Wohn- und Gewerberaum» einsetzen. Unter anderem durch Unterstützung von gemeinnützigen Wohnbauträgern wie Genossenschaften (siehe unten).
Was sind die Beweggründe der Initianten? «Die Wohnkosten steigen trotz tiefem Referenzzinssatz seit Jahren und machen einen immer grösseren Teil des verfügbaren Haushaltseinkommens aus», erklärt Sarah Spielmann, Geschäftsleiterin des Mieterverbandes Aargau. Und Kurt Brand, Co-Geschäftsführer von Caritas Aargau, meint: «Um der Segregation entgegenzuwirken, braucht es korrigierende Massnahmen. Die Stadt soll eine aktive Wohnbaupolitik betreiben, um die Durchmischung der Wohnbevölkerung zu fördern – und damit Einkommensschwächere nicht verdrängt werden.» SP-Präsidentin Gabriela Suter betont: «Bezahlbare Mieten, gute soziale Durchmischung aller Quartiere und innovatives Kleingewerbe sind entscheidende Merkmale für die Lebensqualität in einer Stadt.»
Aus der Sicht der Gegner ist die Initiative unnötig: «Denn es herrscht keine Wohnungsnot. Aarau hat den zweithöchsten Leerwohnungsbestand im Bezirk.» Der Wettbewerb wirke bereits preisdämpfend.
«Die Initiative hat kaum eine Grundlage in der bisherigen Stadtpolitik und beinhaltet Forderungen mit einem unbekannten Preisschild», hatte der Stadtrat in seinem Antrag an den Einwohnerrat geschrieben. Ähnlich argumentiert jetzt das gegnerische Komitee: «Die Forderung nach dem unbegrenzten Erwerb von Liegenschaften zu Wohn- und Gewerbezwecken würde zu Verwaltungs- und Investitionskosten führen, die nicht abgeschätzt werden können. Der Markt würde verfälscht.»
Das Ja-Komitee führt am Mittwochabend im Restaurant Einstein in Aarau (ab 19.30 Uhr) eine kontradiktorische Veranstaltung durch. Das Inputreferat hält Nationalrätin Jacqueline Badran.
Angeführt von der FDP Aarau organisieren die Gegner am Mittwoch, 8. November, eine Infoveranstaltung (19.30 Uhr, «Spaghetti Factory»).
Die Allgemeine Wohnbaugenossenschaft Aarau und Umgebung (ABAU) ist 70 Jahre alt. Sie besitzt 294 Wohnungen. Flaggschiff ist die Siedlung Aarenau, die für gegen 20 Millionen Franken auf Land der Ortsbürgergemeinde Aarau realisiert worden ist (Bezug 2014, Bild). Die ABAU würde gerne weitere Projekte realisieren. Doch das Problem ist das Land, respektive dessen Preisentwicklung. Es sei sehr schwierig, Grundstücke zu fairen Konditionen für gemeinnützigen Wohnungsbau zu bekommen, erklärt Antonio Mangino. Er ist seit 2009 Präsident der Genossenschaft. Die ABAU unterstützt die Initiative «Raum für alle». «Dank ihr kämen wir zu angemessenem Preis zu neuem Land, was uns die Möglichkeit bieten würde, beispielsweise 4,5-Zimmer-Wohnungen zu bauen, die monatlich unter 2000 Franken Miete kosten.» Wer eine ABAU-Wohnung möchte, muss für 5000 Fr. Genossenschaftskapital zeichnen. Aber er muss keinerlei Rechenschaft ablegen über seine Einkommensverhältnisse. Nur bei grossen Wohnungen (4,5 oder 5,5 Zimmer) macht die ABAU zur Bedingung, dass mindestens ein Kind im Haushalt lebt.
Der Stadtrat hat eben die Baubewilligung erteilt. Damit ist die wichtigste Voraussetzung für den Baustart erfüllt. Die Wohnbaugenossenschaft Goldern will an der General-Guisan-Strasse vier Mehrfamilienhäuser, im Volksmund «Post»-Blöcke genannt, abbrechen und durch Neubauten ersetzen. Für 26,5 Millionen Franken sollen 60 neue Wohnungen entstehen. Das Projekt haben die renommierten Aarauer Architekten Schneider & Schneider entworfen. Die bestehende Siedlung wurde 1956 erbaut. Im Baurecht – auf 91,4 Aren, die der Einwohnergemeinde Aarau gehören. Als die AZ das Projekt im vergangenen Sommer vorstellte, erklärten Fanny (86) und Hans Ueli Hodel-Lanz (88): «Wir wohnen seit der ersten Stunde hier in einer 41⁄2-Zimmer-Wohnung. Das sind mittlerweile mehr als 60 Jahre. Früher sah es noch anders aus. Als wir zusammen mit vielen Jungfamilien hier eingezogen sind, weideten hinter den Blöcken noch Kühe.» Und: «Seit 15 Jahren wohnen auch immer mehr Leute hier, die nicht für Post, Bahn oder Bund arbeiten.»
Zu was städtische Liegenschaftspolitik fähig ist, zeigt das Beispiel des hinteren Scheibenschachens (Aarenau). Dort wird eine der letzten grossen Landreserven der Stadt in Etappen überbaut. Sie befand respektive befindet sich im Besitz der Ortsbürgergemeinde. Während das Projekt der Genossenschaft ABAU (siehe ganz links) sicher als schneller Erfolg gelten kann, war bei der Überbauung «Aarenau Süd» sehr viel Geduld nötig. Fast drei Jahre, nachdem die 23 Eigentumswohnungen bezugsbereit waren, stehen vereinzelte noch immer leer. Und von den zehn Reihenhäusern (Stadtvillen) ist laut Internetseite der Bonacasa nur eines verkauft. Die andern sind notgedrungen vermietet, warten auf einen Mieter (3250 Fr. für 5,5 Zimmer)oder einen Käufer (1,295 Mio. Fr. für 5,5 Zimmer). Die Preise sind seit dem Verkaufsstart leicht nach unten angepasst worden. Der Stadtrat, respektive die Ortsbürgergemeinde, hat das Land für die Überbauung «Aarenau Süd» an den Solothurner Investor verkauft, weil das Projekt besonders erfolgsversprechend schien. Architekten waren Schneider & Schneider.