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22 Jahre sind genug: Sämi Richner, der im Parlament konsequent Mundart sprach, hat sich diese Woche als Grossrat verabschiedet. Der EVP-Politiker freut sich nun auf seine eigene Werkstatt. «Reparieren macht glücklich.»
«Ein solches Foto-Shooting habe ich als Grossrat nie erlebt», meint Sämi Richner zum AZ-Fotografen. Für dieses Shooting hat er sich in den Frack gestürzt, den er bei seiner Verabschiedung im Parlament getragen hat und der ihm ausgezeichnet steht.
Nur das rote «Poschettli» am EVP-Politiker irritiert etwas. «Das mit dem Frack hat seine Geschichte», sagt Richner. «Ich habe ihn an meinem ersten und an meinem letzten Tag im Grossen Rat getragen. Vor meiner ersten Sitzung, 1992, haben mich Frauen der EVP-Fraktion aufgezogen, weil sie wussten, dass ich nicht gerne Krawatten trage. Wir haben das dann in der Familie besprochen und gefunden: Wenn schon verkleiden, dann richtig.»
Dabei ist das «Verkleiden» – im weitesten Sinne gesehen – Richners Sache gar nicht. Er vertritt seine Meinung offen und hartnäckig. Das hat sich in den Auseinandersetzungen um die Deponie Jakobsberg gezeigt und kürzlich im Zusammenhang mit den Bauwerken im Auenpark. «Als Volksvertreter muss man annehmen, was an einen herangetragen wird», erklärt er. «Ich habe das durchgezogen, weil ich als Volksvertreter Verantwortung trage. Da gibt es auch für den Kanton kein Pardon.»
Und der Vorwurf des Querulantismus? «Es gab viele positive wie negative Rückmeldungen», stellt er fest. «Man gilt schnell als Querulant. Ich kann damit leben. Wenn man das nicht kann, darf man nicht in die Politik.»
In die Politik gekommen ist Richner, der in einer Bauernfamilie in Schafisheim aufgewachsen ist, schon früh. «Politik hat meine Schul- und Kantizeit geprägt», betont er. «Damals, in der 68er-Zeit, war die Jugend sehr politisiert. Ich habe diese Zeit sehr intensiv erlebt.»
1977 sei sein Vater angefragt worden, ob er sich für die EVP auf die Grossrats-Wahlliste setzen lassen würde, sagt Richner. «Mein Vater wollte aber nicht. Da habe ich gesagt: Setzt doch mich auf die Liste.»
Klar hätte er sich auch bei der SP oder bei den Grünen einbringen können, räumt er ein. «Die EVP, die sich für eine soziale und ökologische Marktwirtschaft einsetzt, schien mir aber stärker mit der Basis vernetzt. Die Suche nach Ausgleich und Lösungen, wie sie für die EVP im Vordergrund steht, ist aber natürlich weniger spektakulär.»
1992 ist Richner, der in Zollikofen Agronomie studierte und später, im Alter von 26 Jahren, eine Lehre als Landmaschinenmechaniker abgeschlossen und danach als Berufsschullehrer unterrichtet hat, in den Grossen Rat nachgerutscht. Für ihn und seine junge Familie stand damals zwar ein Missionseinsatz im Kongo im Vordergrund. Das scheiterte aber am Krieg im Kongo.
«Es war eine Fügung», stellt er heute fest. «Ich wurde zu 50 Prozent Hausmann – meine Frau arbeitet als Legasthenietherapeutin –, 20 Prozent nahm das Grossratsmandat in Anspruch und 30 Prozent arbeitete ich in meiner kleinen Werkstatt. Ich repariere meist Autos. Das ist ein Superausgleich zur Politik. Reparieren macht glücklich. Wenn ich etwas, das sonst weggeworfen würde, flicken kann, bin ich happy. Es irritiert die Leute vielleicht: Was, der Richner, so ein Grüner, repariert Autos?, werden sie sagen. Aber die Autos meiner Kunden sind keine Statussymbole. Es sind Gebrauchsfahrzeuge. Und es kann sein, dass ich einen meiner Kunden frage: Brauchst Du überhaupt ein Auto?»
Im Grossen Rat hat sich Richner vor allem für soziale und Umwelt-Themen eingesetzt. Zu einem seiner Markenzeichen wurde dabei, dass er stets Mundart sprach. «Es ging mir am einfachsten, so zu reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist», erklärt er. «Ich habe einmal eine Ausnahme gemacht und Hochdeutsch gesprochen, als Gäste aus dem Landkreis Waldshut auf der Tribüne sassen. Darauf haben Ratskollegen gesagt: Du kannst das ja.»
Im Rückblick bedauert er das zunehmend härter werdende Politklima. «Früher hat man nicht auf eine Person geschossen, wenn einem die Argumente ausgegangen sind», sagt er.
«Jetzt wird das dauernd gemacht. Statt nach der besten Lösung zu suchen, geht es darum, sich möglichst viel Einfluss und Macht zu sichern. Das zeigt sich auch in der Zusammensetzung der grossrätlichen Kommissionen. Es war, am Anfang meiner Zeit im Grossen Rat, schön zu erleben, wie man aufeinander gehört und miteinander diskutiert hat. Man hat oft gar nicht gemerkt, welche Partei da gesprochen hat. Es ging darum, die beste Lösung zu finden. So stelle ich mir eigentlich Demokratie vor.»
Er sei aber nicht aus Frust zurückgetreten, betont Richner. «Es ist auch nicht so, dass ich ausgebrannt wäre. Nach 22 Jahren wurde es aber Zeit für eine Erneuerung.»
«Ich werde jetzt ‹Bigeli› abbauen» sagt er. «Es hat sich vieles angestaut. Wahrscheinlich werde ich auch mehr Musik und vielleicht einmal eine längere Reise machen. Und ich bin glücklich, wenn ich jetzt mehr reparieren kann. Es gibt viel zu reparieren. Mir wird’s nie langweilig.»