Silvia Dell’Aquila (42) betreibt die Plattform «We love Aarau». Die Soziologin ist Regionalleiterin VPOD. In ihrer Kolumne «Ein Nachmittag in Aarau» schreibt sie heute über die Idee einer offenen Bühne in Aarau.
Wer schon mal im Londoner Hyde Park war, ist vielleicht schon am Speaker’s Corner vorbeigegangen. Und wenn es grad Sonntag war, dann hat er auch noch eine Rede gehört von einem Menschen, der auf einem Kessel oder einer Bockleiter seine eigenen Gedanken einem kleineren oder grösseren Publikum verkündet. Wenn ich an diese Szenen denke, stelle ich mir vor, in jeder Stadt gebe es eine Ecke, um Menschen zuzuhören und ihren Meinungen, Fragen, Kritiken zu folgen. Wie wäre es in Aarau? Eine solche Ecke könnte einigen Kommentarspaltenfüller/innen oder Leser/innenbriefschreiber/innen einen Weg aus der Anonymität geben, stolz könnten sie direkt und unverblümt ihre Meinungen an den Mann und die Frau bringen, Missstände anprangern und die Obrigkeiten zurechtweisen.
In unserer Stadt müsste diese Ecke wohl direkte Sicht auf das Rathaus haben, damit man auch von den Adressaten gehört und gesehen würde. So ein Plätzchen, wie es sich einst der aus Aarauer Gewerbetreibenden bestehende «Salami-Club» aussuchte. In der «Ratsstube» (heute «Platzhirsch») mit bester Sicht auf die Amtsstuben, kritisierte der Club die Lokalpolitik heftig und liess seinem Unmut freien Lauf.
Es sei zwar dahingestellt, ob in Zeiten der Digitalisierung eine solche Ecke auch wirklich genutzt würde und die Menschen ihre Meinung nicht lieber hinter einem Bildschirm in eine Tastatur hauen. Doch die Idee einer offenen Bühne finde ich weiterhin wichtig. Vielleicht weniger für Reden, sondern eher für verschiedene künstlerischen Aktivitäten, die in der Stadt entwickelt werden.
Baden hat es natürlich wieder vor Aarau geschafft, einen Ort zu schaffen, an dem Künstler/innen oder Amateur/innen sich der Öffentlichkeit zeigen können. Seit dem 1. September ist es auf der offenen Bühne unter dem Dach der Cordulapassage erlaubt, Darbietungen jeglicher Art öffentlich zu präsentieren. Dies völlig unbürokratisch. Die «Öffnungszeiten» sind geregelt, es darf kein Geld gesammelt oder das fix installierte Klavier verstärkt werden, aber sonst bestehen keine besonderen Auflagen wie Bewilligung einholen oder dergleichen.
Das Projekt der Stadt Baden und verschiedener Detaillisten wurde mit einer Feier eröffnet und man kann gespannt sein, wie es sich nun weiterentwickelt. Die Menschen wollen zusammenkommen, Kunst und Kultur kann helfen, Menschen zusammen zu bringen und eine besondere Atmosphäre in einer Stadt zu generieren. Schon das Klavier am Bahnhof hat gezeigt, wie sich ein Ort ändert, wenn Musik ertönt. Und gerade in Aarau entsteht vieles, das raus muss aus den Kellern, Ateliers oder Einzimmerwohnungen. Texte, Musik, Meinungen und sonstige Ausdrucksweisen. Und zu erfahren, was alles in den Menschen dieser Stadt steckt, wird uns erstaunen und bereichern.
Ich stehe auf meinem imaginären Schemeli und verkünde lautstark Richtung Rathaus: «Ich will mehr von dieser Stadt sehen und hören, der Aarauer Stadtrat soll auch eine offene Bühne lancieren!» Und wenn wirs halt den Badener/innen nachmachen müssen.