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Ein LKW-Fahrer musste sich vor dem Bezirksgericht Aarau wegen einer beschädigten Bahnschranke verantworten. Der Schuldspruch hat für den selbstständigen Fahrer aber weiterreichende Folgen.
Die Bahnschranke in Unterentfelden begann sich zu senken, als er mit seinem Lastwagen bereits auf dem Bahnübergang stand. Walter (Name geändert) fährt seit Jahrzehnten berufsmässig und kennt sich in der Region bestens aus. Der Vorwurf eines pflichtwidrigen Verhaltens vor dem Bahnübergang und der des pflichtwidrigen Verhaltens nach einem Verkehrsunfall wollte er nicht auf sich sitzen lassen.
Walter hatte an besagtem Tag im September 2018, kurz nach dem Mittag, einen Auftrag erledigt und einen gelben Kran geladen. Der Chauffeur aus Muhen führt ein eigenes Unternehmen, das ihn vor allem an den Wochenenden absorbiert. «Unter der Woche habe ich Zeit, um solche Transporte zu übernehmen», erklärt er den Umstand, dass er am Unfalltag für eine Betonfirma unterwegs war.
Als Walter mit seiner Ladung den Bahnübergang am Grenzweg in Unterentfelden überqueren und in Richtung Aarau abbiegen wollte, leuchtete das Warnblinklicht des Bahnübergangs noch nicht auf. «Ich machte noch den Sicherheitsblick und liess ein Velo und ein Auto durch», erzählt Walter. Dann erst sei er angefahren. «Plötzlich kam von links ab dem Trottoir ein Velo und fuhr um die Kabine herum über den Bahnübergang», schildert Walter. Zu diesem Zeitpunkt stand der Fahrer mit der Kabine aber bereits auf den Gleisen. Er bremste abrupt und würgte den Lastwagen ab, um den Velofahrer nicht zu touchieren. «Ich wollte wieder anfahren und sah plötzlich, wie sich die Barriere bewegte.» Walter stieg aus und stoppte die sinkende Barriere mithilfe von Passanten. «Sonst hätte ich mit dem Kran angehängt», so der Fahrer. Der Lokomotivführer der Bahn, die in der Zwischenzeit nahte, wurde langsamer und hielt an. Walter stieg wieder in seine Kabine, überquerte die Strasse und parkierte weiter vorne auf dem Trottoir. «Ich stieg aus, um mich zu vergewissern, dass die Barriere funktioniert», so Walter. Er machte auch eine Videoaufnahme mit seinem Handy, um die Funktionstüchtigkeit der touchierten Barriere zu dokumentieren. «Ich habe nichts kaputtgemacht», hält der Chauffeur gegenüber der Richterin fest. «Ich dachte, das sei so in Ordnung und habe es unterlassen, eine Meldung zu machen.» Er hätte seine Pflichten als Chauffeur wahrgenommen.
Doch kurze Zeit später erhielt Walter von der Firma, die ihn für den Tag engagiert hatte, ein Telefonat. Jemand hatte Anzeige erstattet, Walter wurde durch die Polizei befragt. Der Vorwurf: Er habe einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht und sei danach weitergefahren.
Walter habe keine andere Wahl gehabt, als auf dem Bahnübergang zu halten: «Er ist vom Velofahrer überrascht worden», hält sein Verteidiger vor Gericht fest. Sein Mandant sei deshalb vom Vorwurf des pflichtwidrigen Verhaltens vor dem Bahnübergang freizusprechen. Weiter habe er seine Pflichten nach dem Unfall nicht verletzt. Der Beschuldigte hätte die Polizei nur benachrichtigen müssen, wenn er Zweifel gehabt hätte, ob ein Schaden entstanden war.
Das Bezirksgericht folgte dem Antrag des Verteidigers im ersten Punkt und sprach Walter des pflichtwidrigen Verhaltens vor dem Bahnübergang frei. «Eine Meldepflicht bei einem Unfall entfällt aber nur dann, wenn man zweifelsfrei ausschliessen kann, dass kein Schaden entstanden ist», hält die Gerichtspräsidentin Patricia Berger fest. Die Tatsache, dass die Barriere weiterhin funktionierte, reichte für das Bezirksgericht nicht aus, denn diese hatte nach dem Unfall leichte Kratzspuren sowie eine minime Schieflage.
Walter muss eine Busse von 400 Franken bezahlen. Es ist aber nicht die Geldstrafe, die ihm zu schaffen macht, sondern die Folgen: Der Schuldspruch führt dazu, dass Walter der Führerschein für einen Monat entzogen wird. «Das ist für einen Chauffeur eine Frage der Existenz», sagt Walter schulterzuckend.