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24 Jahre lang ist Stadtpräsidentin Jolanda Urech am Maienzug im Umzug mitgelaufen. Dieses Jahr war es das letzte Mal. Ein Tag voller Schmützli, Gänsehaut, Traditionen – und einem unerwarteten Anflug von Wehmut.
Einfach ist das nicht, das Küssen. Keck sitzt das Hütlein am Seitenkopf, da muss man ein bisschen zirkeln, um darum herum zu küssen. Aber es gelingt. Keiner stupst Stadtpräsidentin Jolanda Urech das Hütlein vom Kopf. Und geküsst wird an diesem Tag viel. Es ist Maienzug, der Tag der Tage, der für Aarauer schönste Tag überhaupt. Für Jolanda Urech ist es der 24. Maienzug in offizieller Funktion. Und der letzte. Sie tritt bei den Wahlen im Herbst nicht mehr an.
Der Tag beginnt früh und nach kurzer Nacht. Es ist etwas spät geworden. «Die Musik war einfach zu gut, ich musste einfach tanzen. Ich bin erst um 2 Uhr daheim gewesen», sagt sie und zuckt entschuldigend mit den Schultern. Als ob man sich dafür entschuldigen müsste. Der Vorabend ist zum Geniessen da.
Jetzt steht sie da im Graben, unter dem Platanen-Blätterdach, und schüttelt Hände und verteilt Schmützli. Es ist kurz vor 8.30 Uhr. Während die Mütter noch mit Haarklammern zwischen den Zähnen im letzten Moment die Frisuren richten und Väter mit ihren Spiegelreflexkameras hantieren, hat Jolanda Urech bereits den ersten offiziellen Termin absolviert: die Begrüssung der Delegation aus Neuchâtel, der Partnerstadt, mit der man heuer das 20-Jahr-Jubiläum feiert.
Es ist alles wie immer. Und doch nicht ganz. Da ein Zupfen am Kragen der Kollegin, da eine gerichtete Krawatte, von vorne schwappt das Trommeln der Kadetten heran, der Umzug zuckelt los. Einstehen, schleunigst. Hinter Standartenträgerin Zoé Lachat, die die Nacht über kaum ein Auge zugetan hat, hinter Stadtweibelin Monika Ramseyer und inmitten ihrer Stadtratskolleginnen und -kollegen. Wie immer. Aber zum letzten Mal. Wehmut? «Nein, ich freue mich einfach nur.»
«Es ist der Tag, an dem alles zusammenkommt und jeder heimkommt, der Tag, an dem sich die Stadt in Feststimmung auflöst. Zeit, Sorgen, Rivalitäten, alles wird unwichtig, alles fällt ab», sagt Jolanda Urech über den Maienzug. «An diesem Tag sind alle glücklich.» Und wenn man sie so betrachtet, wie sie durch die Strassen marschiert und die Zuschauer grüsst, den Arm voller Blumen, die ihr die Aarauer geschenkt haben, wie sie an der Morgenfeier in der Telli sitzt und sich über die tanzenden und singenden Kinder freut, dann merkt man, was der Maienzug für ein schönes Gefühl für die Stadtpräsidentin sein muss. Und dass es ihr fehlen wird.
Es ist Mittag, die Sonne ist da. Auf der Schanz reihen sich die Gäste auf die Bänke, Aarau schwatzt und trinkt und isst und lacht. Dann ist der Moment gekommen für Jolanda Urechs letzte Bankettrede. Sie spricht vom Maienzug, dem roten Faden, dem die Stadt seit über 400 Jahren folgt, von den Ereignissen des letzten Jahres, vom Kasernenareal, von der Keba, vom Stadion und von dem Aufstieg der FC Aarau Frauen, und plötzlich brüllen alle «Hopp Aarau». Und Jolanda Urech strahlt.