Kommentar
EU-Rahmenvertrag: Einen letzten Versuch ist dieses Abkommen wert

Die Positionen Berns und Brüssels liegen weit auseinander. Trotzdem sollten die Unterhändlerinnen es noch einmal versuchen, eine Einigung zu finden. Der Vertrag ist nicht so schlecht, wie ihn manche machen.

Francesco Benini
Francesco Benini
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Keine Annäherung: Bundespräsident Guy Parmelin und die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, am Freitag in Brüssel.

Keine Annäherung: Bundespräsident Guy Parmelin und die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, am Freitag in Brüssel.

Francois Walschaerts / Pool / EPA

Das Positive vorweg: Die verschiedentlich geäusserte Befürchtung, Bundespräsident Guy Parmelin könnte die Schweiz auf internationalem Parkett schlecht aussehen lassen, hat sich nicht bewahrheitet. Parmelin wirkte in Brüssel ruhig und überlegt und vermied vor den Kameras den Fehler, sich in einer Fremdsprache zu versuchen.

In der Substanz hat sich aber gezeigt: Bern und Brüssel agree to disagree – die Positionen zum institutionellen Rahmenvertrag liegen so weit auseinander, dass die sehr langen Verhandlungen schwerlich zu einem guten Abschluss gebracht werden können.

Es war sicher richtig, dass Bundespräsident Parmelin nicht schon am Freitag den Schlussstrich zog. Ein letzter Versuch, das Abkommen zu retten, sollte nun unternommen werden. Dabei wäre es gut, wenn das Versteckspiel, das der Bundesrat seit Monaten betreibt, ein Ende fände.

Die EU versucht, der Schweiz die Schuld zuzuschieben

Ein Sprecher der EU-Kommission erklärte, dass die Schweiz alle drei umstrittenen Punkte aus dem Vertrag ausklammern wolle. Dass Brüssel darauf nicht eingehen will, wäre nachvollziehbar. Von Bundespräsident Parmelin kam kein Dementi.

Wäre dies wirklich die Position der Schweiz – worüber hat sich Unterhändlerin Livia Leu während vieler Stunden mit ihrer Ansprechpartnerin in Brüssel unterhalten? Eine vollständige Ausklammerung der drei Punkte wäre der EU schnell mitgeteilt; man könnte gleich zum Apéro übergehen.

Die Haltung der Schweiz ist eine andere. Fest steht, dass Brüssel die Konzessionen, die Bern verlangt, in der Frage des Lohnschutzes und der Unionsbürgerrichtlinie nicht hinnehmen will. Bei letzterem Punkt pocht die Schweiz auf eine Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und anderen EU-Bürgern. Sie will damit verhindern, dass die Zuwanderung zunimmt.

Eine Alternative zu finden, wäre nicht einfach

Ein Abkommen ohne Verbesserungen in den drei strittigen Punkten ist in der Schweiz chancenlos – weil der Vertrag auch wegen des Mechanismus der Streitbeilegung und der erweiterten Guillotine umstritten ist.

Wie geht es nun weiter? Die beiden Unterhändlerinnen werden nicht umhinkommen, sich noch einmal zusammenzusetzen, um noch einmal zu versuchen, eine Annäherung der Positionen zu finden. Der Rahmenvertrag ist nicht so schlecht, wie ihn einige Parteien und Interessengruppen darstellen. Er bietet ein insgesamt praktikables Modell, wie der erfolgreiche bilaterale Weg weitergeführt werden kann. Alternativen sind schwierig zu finden. Und vom Bundesrat in seiner derzeitigen Zusammensetzung ist nicht zu erwarten, dass er es schafft, in absehbarer Zeit auf bessere Lösungen zu kommen. Man wäre schon froh, die Landesregierung würde umgehend und klar kommunizieren, wenn die EU bei ihren Schuldzuweisungen wieder einmal die Tatsachen verdreht.