Kolumne von Florian Riniker
«Hungerthalen»-Reise in utopische Gegenden

Dem Magen-Darm-Spezialisten und passionierten Velofahrer Florian Riniker ist der Appetit im wundersamen «Hungerthalen» glatt vergangen.

Florian Riniker*
Florian Riniker*
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Ein Schlemmer-Schlaraffenland.

Ein Schlemmer-Schlaraffenland.

Auf einer meiner sonntäglichen Velotouren war ich unlängst in den weitläufigen, bewaldeten Hügeln des Mittellandes unterwegs, als ich Glockengeläut und den verführerischen Duft von gebratenem Fleisch wahrnahm. Ohren und Nase folgend erreichte ich kurz darauf das Ortsschild am Dorfeingang von «Hungerthalen».

Aus schmucken Häusern traten mehr und mehr Menschen und füllten die sternförmig zum Dorfplatz hinziehenden Strassen. In meinem engen Trikot kam ich mir etwas fremd vor, wie ich die beleibten Bürger zu umkurven versuchte. Jung und Alt schritten im für wohlgenährte Menschen typischen Wackelgang auf die zahllosen Restaurants und Imbissstände in der Dorfmitte zu.

Zur Person

*Florian Riniker

*Florian Riniker

Dr. med. Florian Riniker arbeitet als Magen-Darm-Spezialist in Aarau und wohnt in Suhr.

Auf Höhe der ersten Restaurants trat ein runder Hüne vor mich auf die Strasse und röhrte: «Ah, ein Auswärtiger!». Breitenmoser sei sein Name, seit 13 Jahren der Gemeindepräsident hier in diesem schönen Flecken Erde. Ob ich denn zum Essen käme und bereits eine Verköstigungskarte gelöst hätte? Das Essen sei für die Einwohner eben gratis mit der Karte einer Grundverköstigungskasse, aber für Fremde gäbe es in mehreren Agenturen im Dorf eine Zusatzkassenkarte zu kaufen, das sei attraktiv, denn der Wettbewerb spiele dadurch vielleicht.

Die hohe Qualität der hiesigen Gastronomie sei ein Segen, die Bürger satt und zufrieden. Die Wirte und niedergelassenen Imbissbuden zögen dank der hohen Löhne gutes Fachpersonal von weitherum an, was man an den edlen Automarken auf den Personalparkplätzen erkennen könne. Der Metzger, der Bäcker und die Gemüsehändler würden zwar kaum mehr in den Läden direkt verkaufen, profitierten aber von der hohen Nachfrage nach Delikatessen und Qualitätsprodukten durch die Köche. Auch internationale Investoren und grosse Restaurantketten seien schon auf «Hungerthalen» aufmerksam geworden.

Es sei für ihn als Ammann aber bisweilen auch etwas schwierig, vor allem wegen der Finanzen. Zum Beispiel, wenn er den Bürgern die Beratungskosten erklären müsse, welche die Kellner bei Annahme der Bestellungen verlangen dürften. Auch das jährliche Murren, wenn er die steigenden Prämien für die Grundverköstigung verkünden müsse oder die Diskussionen mit Verbänden, dass die Gemeinde auch die Kosten für die Dessertzusatzkarte veganer Allergiker*innen oder Verbilligungen für schlanke Bürger zu tragen habe.

Gerne würde er mir mehr bei einem feinen Mittagessen darüber erzählen, ich müsse ja nach meiner Fahrt hierher bestimmt einen gesunden Appetit haben und sei eingeladen. Während er sprach, hatte er einen Teller mit würzig marinierten Pouletstücken aus einer Papiertüte gezogen, welchen er nun mit väterlichem Blick aufmunternd vor meine Nase hielt.

Mit wortreichem Dank und den entschuldigenden Ausflüchten, ich sei noch satt vom Frühstück und obendrein demnächst im nächsten Tal verabredet, schlug ich seine Einladung aus. Gedankenversunken strampelte ich weiter. Erst viele Kilometer später zog ich einen trockenen Riegel aus meiner Rückentasche. Richtig hungrig war ich tatsächlich nicht.